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Klientenzentrierte Psychotherapie in der Seelsorge

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3. Rezeption der KP in der Seelsorge


Wir haben oben unterschiedliche Beziehungskonstellationen bzw. -paradigmen von Psychotherapie und Seelsorge besprochen. Im folgenden sollen einige wichtige Aspekte der KP aus theologischem Blickwinkel heraus betrachtet und verschiedene Fragen bzw. kritische Anmerkungen an das Konzept der KP gestellt werden. Eine kritische Betrachtung soll dabei keineswegs die "Methode des Heilens" abqualifizieren und apologetisch aus dem Bereich der Seelsorge ausklammern. Versteht sich die Praktische Theologie auch als Humanwissenschaft, muß sie aber Interesse an einer gewissenhaften Auseinandersetzung zeigen und Defizite bzw. mögliche Ungereimtheiten der KP diskutieren, um ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der KP leisten zu können. Hierzu werden Fragen der Theoriebildung der KP sowie ihr Menschenbild besprochen und im Hinblick auf ein christlich-theologisches Bild vom Menschen untersucht. Anschließend werden verschiedene Autoren angeführt, die wichtige Versuche der Rezeption der KP in der Seelsorge geleistet haben. 


3.1 Kritische Anmerkungen zum Konzept der KP


3.1.1 Fragen der Theoriebildung 


Für C. Rogers war es wichtig, seine psychotherapeutischen Erkenntnisse der experimentellen Wissenschaft zugänglich zu machen, um Rechenschaft über die Wirksamkeit seiner Therapievariablen leisten zu können. Hierfür führte er als erster Tonbandprotokolle in die Psychotherapie ein. Damit wurde die Psychotherapie einer objektiven Überprüfung zugänglicher gemacht. 
Vermissen läßt C. Rogers dieses Anliegen in der Erfassung und Bestätigung seiner übrigen Therapietheorie. Begriffe wie Selbstkonzept und Aktualisierungstendenz, die als zentrale Begriffe der Theorie zu verstehen sind, "erweisen sich als behauptete, empirisch nicht abgesicherte Konstrukte. Der Verzicht auf experimentell-empirische Begründung gerade im Bereich der Persönlichkeitstheorie trägt zu einer gewissen Inkonsistenz des gesamten Gebäudes der Gesprächspsychotherapie [KP, Vf.] bei".

Dies sei am Begriff der Aktualisierungstendenz veranschaulicht. Sie bezeichnet unterschiedliche Phänomene und findet sich in der Literatur sowohl als Aktualisierungstendenz des gesamten Organismus als auch als Aktualisierungstendenz des Selbst wieder, ohne diese einheitlich und präzise zu unterscheiden. Genaue Beschreibungen bzw. Definitionen der einzelnen Begriffe wären notwendig, um eine Konsistenz im Theoriegebäude zu gewährleisten. Hierzu wäre es wünschenswert, wenn die einzelnen wissenschaftlichen Vereine und Ausbildungseinrichtungen für KP in diese Richtung weiterarbeiten und ihre Ergebnisse koordinieren könnten. Zu berücksichtigen ist natürlich, daß jedes Konzept, das sich ständig weiterentwickelt, in einem gewissen Maß nur fragmentarisch sein kann und Unstimmigkeiten aufweist.


3.1.2 Betonung der Individualität und des subjektiven Erlebens


Die Humanistische Psychologie und C. Rogers als einer ihrer Vertreter hatten das große Anliegen, die einseitigen Betrachtungen der Person durch Behaviorismus und Psychoanalyse zu überwinden. Ob und wieweit diese Kritik berechtigt ist, muß hier unbeantwortet bleiben. Sie führte auf jeden Fall auf seiten der Humanistischen Psychologie zu einer Betonung der Individualität und des subjektiven Erlebens. Genau hier setzt eine Kritik am Konzept der KP ein. C.F. Graumann hält ihr vor, daß "die Betonung der individuellen Persönlichkeit und ihres subjektiven Erlebens, weniger ihres Handelns ... und was noch schwerer wiegt, die Vernachlässigung ihrer Umwelt ... das Individuum in eine Isolation (drängen)". 
C. Rogers kam es in der Entwicklung seines Konzeptes darauf an, den Menschen komplexer und selbst-bewußter wahrzunehmen, als dies durch die Theorien des Konditionierens und der psychoanalytischen Trieblehre ausgesagt wurde. Es sollte der Schwerpunkt auf die reichhaltige subjektive Erlebniswelt, auf die Individualität und Originalität solchen Erlebens gesetzt und gegen Kollektivtendenzen verteidigt werden. Eine Reihe von Kritikern nahmen dies zum Anlaß, von einem gefährlich-utopischen Individualismus und egozentrischem Subjektivismus zu sprechen, und sahen die Gefahr, daß die Klienten irrealen Allmachtsphantasien zu erliegen drohen, wenn sie mit KP in Berührung kommen. Außerdem würde eine Unfähigkeit erzeugt, Leid, Schmerz und Endlichkeit des Lebens zu ertragen. Natürlich können diese Vorwürfe so mancher praktischen Anwendung der KP entsprechen. Verkürzungen, unverantwortbarer, verwässerter und vulgarisierter Umgang mit verschiedenen Erkenntnissen und Ergebnissen der Humanistischen Psychotherapien bzw. der KP schaden der Seriosität und Reputation der Psychotherapie allgemein und können nur durch eine seriöse Ausbildung und Auseinandersetzung mit den einzelnen psychotherapeutischen Konzepten vermieden bzw. minimiert werden. 

Betrachtet man die oben angeführten Kritikpunkte auf dem Hintergrund der Therapietheorie und dem Grundanliegen der KP, so muß man verschiedene Aspekte im Auge behalten. Das Interesse bzw. die Motivation der Therapie ist es, ich-schwachen, sich selbst fremd gewordenen und gedemütigten Menschen die Wiedererlangung ihrer beschädigten Ich-Funktionen und die Wiederherstellung ihres Selbstwertgefühles zu ermöglichen bzw. sie dabei zu unterstützen. Dem einzelnen darf dies "nicht mit dem zynischen und reichlich konstruierten Argument vorenthalten werden, daß Ich-Stärke die Gefahr des Egozentrismus enthalte. Mit der gleichen Logik kann man Verhungernden die Nahrung verweigern, weil Essen fett macht".

KP, ob in der Gruppen - oder Einzeltherapie erfahren, lebt von Beziehungserfahrungen. Die eigenen Erfahrungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Dies gilt aber ebenso für die Erfahrungen aller am therapeutischen Prozeß beteiligten Personen. In der Einzeltherapie führt der Weg zu sich selbst über den anderen, in diesem Fall über den Therapeuten. "Dieser agiert entgegen simplifizierender Beschreibung nicht einfachhin als abbildender Spiegel, sondern als authentische, eigene Person, die sich selbst in den Dialog einbringt. Indem der Therapeut echt und einfühlend zugleich im Gespräch anwesend ist, nötigt er den Klienten, aus der Versponnenheit in sich selbst herauszutreten und auf den anderen zuzugehen. Der Therapeut erweist sich so als Anwalt von Realität und Sozialität". In der Gruppe bildet die Beziehungserfahrung, die Gruppe als Korrektiv, als Labor und Übungsfeld mitmenschlichen Kontaktes den Rahmen persönlicher Erfahrung. Es ist bezeichnend, daß die Erfahrungen in der Gruppe, mehr als in Einzelgesprächen, persönliche Veränderungen und Entwicklungen beschleunigen und vertiefen. Die KP versucht die vorhandenen, aber auch begrenzten Selbstheilungskräfte der einzelnen mit einzel- bzw. gruppentherapeutischen Beziehungs-erfahrungen und ihrem heilenden Potential zu verbinden und so Veränderung zu ermöglichen. 

Allmachtsphantasien und egozentrischer Subjektivismus treten, wenn überhaupt, meiner Meinung nach eher am Beginn eines therapeutischen Prozesses auf, als sie von jenem ausgelöst werden. Diese Hoffnungen an die Therapie, nur mehr auf sich blicken zu können, fernab jeder Notwendigkeit von Beziehungsarbeit sich von all seinen Problemen, Schwierigkeiten und Leid zu befreien und in Richtung ewiger Glückseligkeit abzuheben, werden im Rahmen eines seriösen Therapiegeschehens sehr schnell verblassen. Persönlichkeitsentwicklung in Richtung Entfaltung ist ein sehr intensiver und auch leidvoller Weg, auf dem einem sehr oft die eigenen Grenzen schmerzvoll begegnen. Dabei gehört es zu einer der schmerzvollsten Erfahrungen, daß "eingefahrene" Verhaltensmuster, die ja gleichzeitig auch wichtige Überlebensstrategien liefern, eine Unsumme von Lebensmöglichkeiten ausschließen. Mehr Möglichkeiten zu erschließen, das eigene Leben, Beziehungen usw. zu meistern, ist eine wichtige Aufgabe, die Psychotherapie zu leisten hat und durch ihr spezifisches "Fachwissen" auch vielfach leisten kann, dabei dürfen jedoch nie Grenzen und Unzulänglichkeiten menschlichen Tuns und Strebens vergessen werden. 

Abschließend läßt sich sagen, daß die KP ihr Menschenbild keineswegs nur am Individuum festmacht und die Wichtigkeit der sozialen Beziehung schon lange erkannt hat, wie es C. Rogers selbst durch die Aufnahme Buber'schen Gedankengutes in sein Konzept zeigte. Es bedarf aber auch in bezug auf die in unserer Gesellschaft wahrzunehmende und sich verstärkende Individualisierungstendenz eindeutigere Standpunkte in Richtung soziale Dimension einzunehmen, um die angesprochenen Vorwürfe endgültig zu entkräften. Eine KP, der dieses Anliegen wichtig ist, würde auch in bezug auf eine seelsorgliche Rezeption so manche Differenzen beseitigen. 


3.1.3 Theologische Anfragen an C. Rogers' Menschenbild 


Die therapeutischen Grundhaltungen und das methodische Vorgehen der KP werden von seiten der Theologie als wichtige und auch christliche "Tugenden" verstanden und im Bereich der Seelsorge vielfach kopiert und angewandt. Ihre Wichtigkeit in jeder hilfreichen Beziehung steht fest. Daher sollen sie hier weitgehend ausgeklammert bleiben. Anders ist die Lage in bezug auf das Menschenbild der KP, das den Hauptangriffspunkt der Kritik an C. Rogers darstellt. Helga Lemke versuchte in diesem Zusammenhang das christliche Menschenbild dem Menschenbild der KP gegenüberzustellen. Sie geht dabei von der Überlegung aus, ob eine als wissenschaftlich hilfreich erwiesene Psychotherapieform alleine den Psychotherapeuten überlassen werden sollte, oder auch für die Seelsorge fruchtbar gemacht werden könnte. Hierzu ist es wichtig, daß das Konzept der KP und besonders ihr Menschenbild sich mit christlichem Denken verbinden läßt, ohne es von seinem ursprünglichem Konzept zu trennen und "bloß" nach dem "Fremdprophetie"- oder "ancilla"-Paradigma für die Seelsorge nutzbar zu machen. H. Lemke stellt an dieser Stelle zwei Fragen, die es ihrer Meinung nach zu besprechen gilt:

"(1) Wie weit ist es erforderlich, bei der Übernahme der Klientenzentrierten Gesprächsführung in die Seelsorge auch Rogers' humanistisches Verständnis vom autonomen Menschen zu übernehmen?
(2) Macht die Fähigkeit zur Selbstaktualisierung und der Weg zur Selbstkongruenz die christliche Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen und sein Angewiesensein auf die Erlösung durch Christus überflüssig? Handelt es sich bei Rogers'[sic!] um die Befreiung des Menschen aus eigener Kraft, die einer Art Selbsterlösung gleichkommt?" 

C. Rogers interpretiert das Sein des Menschen psychologisch. Er sieht das Sein des einzelnen durch gewisse Sozialfaktoren geschädigt und beeinträchtigt. Die konstruktiven Kräfte, die sich in jedem Menschen befinden, werden dabei verschüttet und an ihrer Entfaltung gehindert. Diese Schädigungen werden von Generation zu Generation weitergetragen und der Mensch befindet sich so in einer Spannung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Die Neuwerdung bzw. Freilegung der konstruktiven Kräfte wird durch die Therapie ermöglicht und in einem Prozeß der Selbstfindung, der eine lebenslange Bewegung und Suche darstellt, zu verwirklichen versucht.

"Die theologische Entsprechung liegt auf der Hand. Das Alte Testament kleidet diese Zusammenhänge in die mythologische Sprache von der Geschöpflichkeit und dem Sündenfall. Das Neue Testament spricht von der Erneuerung des Menschen aufgrund der Gnade Gottes in der Erlösungstat Christi, die das Vertrauen zu Gott und dadurch zum eigenen Sein wieder herstellt. Durch die Bindung an Gott kann der Mensch seine Eigenmächtigkeit aufgeben, die seinen Wert von seiner Leistung abhängig gemacht hat. Der Blick wird frei von der Fixierung auf die eigene Person und kann sich der Umwelt zuwenden." 

Die Theologie spricht aber nicht von der Schädigung konstruktiver Kräfte, sondern vom Schuldigwerden des Menschen gegenüber Gott, dem jeder einzelne für sein Tun verantwortlich ist. Das Heil des Menschen ist dabei nicht nur auf psychologische Kategorien zu reduzieren. Das Ja Gottes ist Heil, das Ja Gottes ist Liebe. Die Liebe bildet das Zentrum beider, der KP wie der Theologie. Für den Theologen ist diese Liebe eng verbunden mit der Liebe Christi, während die KP diese Dimension außer Acht läßt.

Damit ist das Menschenbild C. Rogers' nicht ohne weiteres mit der christlichen Anthropologie vereinbar. C. Rogers' Bemühungen, den psychischen Prozessen des Menschen Rechnung zu tragen, sprechen aber auch nicht gegen eine Rezeption der KP für die Seelsorge. Die Annahme, "in jedem Menschen seien 'positive Kräfte' zu finden, die nur der Entfaltung bedürfen, um ein sich selbst und andere bereicherndes Leben zu führen", müßte aber bei der Übernahme in die Seelsorge auch aus der christlichen Anthropologie abzuleiten sein. Hierin steckt der oft gemachte Vorwurf, daß der Mensch im Sinne der KP ausschließlich gut sei und nach C. Rogers an sich keine negativen, letztlich bösen Eigenschaften originär aufweise. 

Doch wie sieht ein theologisches Verständnis des Menschen diesbezüglich aus. Der Mensch ist von Gott als sein Ebenbild geschaffen und damit als solcher gut. Der Begriff der Ebenbildlichkeit erhält seinen Wert einerseits durch die Gottbezüglichkeit des Menschen, andererseits durch seine Verantwortung für die Welt. Dadurch, daß sich der Mensch von Gott gelöst hat, mußte er an dieser Aufgabe scheitern und verlor seinen Wert gegenüber Gott. Die Geschichte des Sündenfalls schildert dieses Dilemma und beinhaltet die Selbstverantwortung des Menschen für sein Scheitern. "Wird die Sünde des Menschen in bezug auf den menschlichen Bereich der Erfahrung gedeutet, dann ist sie kein Defekt des Menschen, keine Hemmung der freien Entwicklung des Guten, kein angeborener Hang zum Bösen, sondern die geschichtliche und gesellschaftlich vermittelte Entfremdung des Menschen, der an der Gemeinschaft schuldig wird. Über die konkret gesellschaftliche und soziale Dimension der Sünde hinaus beschreibt der Begriff den Selbstbehauptungswillen des Menschen gegenüber Gott." 

Obwohl der Mensch sich der Verantwortung gegenüber Gott entzieht, wird Gottes Ja zum Menschen in Christus Jesus bestätigt und der Mensch erhält seinen Wert vor Gott zurück. Diese Neuschöpfung drückt das große Vertrauen Gottes in den Menschen aus. "Sie[die Neuschöpfung, Vf.] wird auch nicht dadurch aufgehoben, daß der Mensch im Glauben an Christus zugleich auch immer ein Angefochtener bleibt, der nicht in der Lage ist, aus dem Wissen um das Angenommensein heraus stets das Gute zu tun. Er bleibt in der bekannten Spannung zwischen Wollen und Vollbringen (Röm. 7) - zwischen Sein und Sollen - die daran erinnert, daß Vertrauen nicht mit einem naiven Optimismus in den Menschen gleichgesetzt werden darf." Der Mensch befindet sich auf seinem Weg zur Vollendung, der einerseits von der Gnade Gottes abhängig ist und andererseits das eigene Bemühen um verantwortliches Verhalten Gott und den Menschen gegenüber fordert. 

"Die Konsequenz für den seelsorglichen Bereich zieht Paul Tillich: Der Seelsorger entdeckt in dem Menschen, dem er helfen will, positive Kräfte, die nur der Bewußtwerdung bedürfen, um wirksam zu werden, und er kann solche Kräfte in dem anderen entdecken, wenn er sich ihrer zugleich in sich selber bewußt wird. [...] Das einzige, was der Helfer tun kann, ist die noch in dem Ratsuchenden wirksamen heilenden Kräfte, die Macht der Gnade, zu mobilisieren. Diese Kräfte können durch die Art, wie der Berater den Ratsuchenden ohne alles Moralisieren annimmt, gestärkt werden. Wer sich so in der Situation der Seelsorge verhält, befindet sich in der Nachfolge der augustinisch-reformatorischen Theologie." 

Der von C. Rogers geforderte Optimismus ist demnach auch theologisch abzuleiten und muß nicht notwendigerweise auf ein humanistisches Menschenbild zurückgeführt und dadurch als möglicherweise unbrauchbar für die Seelsorge angesehen werden. Auch erübrigt sich die anfangs gestellte Frage, ob nicht die Auffassung von der Fähigkeit des Menschen zur Selbstaktualisierung die Erlösungstat Christi überflüssig mache. Im Gegenteil: Die Ableitung des Vertrauens in den Menschen aus Gnade und Erlösung ist gerade die Voraussetzung für einen Theologen, der KP für die Seelsorge übernehmen will.

Ein christliches Verständnis des Menschen beinhaltet neben der grundsätzlichen Vertrauenswürdigkeit in die "positiven", guten Eigenschaften auch ambivalente Aspekte. Schon ein Blick auf das tagespolitische Geschehen vermittelt ein Bild, das den Glauben an einen guten und konstruktiven Kern im Menschen gehörig ins wanken bringen kann. Dabei ist die Verantwortung des einzelnen nicht aus den Augen zu verlieren, ebensowenig der Glaube an Umkehr, Buße und Versöhnung. 

C. Rogers berücksichtigt diesen "negativen" Aspekt der menschlichen Existenz kaum. Um seinen Standpunkt dazu näher zu beleuchten, möchte ich hier einen Aspekt des Gespräches zwischen C. Rogers und Paul Tillich aufgreifen, der das Böse, die Entfremdung bzw. das Dämonische der menschlichen Existenz beleuchten möchte. P. Tillich wählte den Begriff des Dämonischen. Er wollte nicht vom sündigen oder abgefallenen Menschen sprechen, da diese Begriffe für ihn als nicht ausreichend erschienen. "Der einzig ausreichende Begriff, den ich fand, war der Begriff 'dämonisch', wie ihn das Neue Testament in den Geschichten über Jesus gebraucht - ähnlich wie: besessen sein. Das bedeutet: eine Macht, unter einer Macht, die stärker als der individuelle gute Wille ist. [...] [Ich, Vf.] verstehe darunter Strukturen, die zwiespältig sind, beide bis zu einem gewissen Grad schöpferisch, aber letztlich destruktiv." Für P. Tillich existieren solche Elemente. C. Rogers äußerte daraufhin seinerseits Verständnis dafür, in Begriffen von dämonischen Strukturen zu denken, da einige Dinge, die in der Welt geschehen, diese Betrachtung naheliegen lassen. Er gibt in diesem Dialog zwar zu verstehen, daß er diesen Aspekt der menschlichen Existenz als gegeben annimmt, bezeichnet ihn aber nicht als originär menschlich, sondern als erlernt. Für ihn stellt es eine Art Notwendigkeit dar, einen positiven menschlichen Kern anzunehmen, sonst wäre keine Arbeit mit und am Menschen möglich. Daß Menschen zu entsetzlichen Grausamkeiten fähig sind, ist ihm sicher nicht verborgen geblieben.

Abschließend läßt sich feststellen, daß die KP und ihr Menschenbild einer christlichen Anthropologie nicht grundsätzlich widersprechen, sondern einiges an Gemeinsamkeiten aufweisen. In der Rezeption, die nach H. Steinkamp z. B. auf konvergierenden Optionen beruhen kann, sollte der Schwerpunkt der Diskussion und produktiven Auseinandersetzung neben der Wahrnehmung der trennenden Aspekte stärker auf der Betonung des Gemeinsamen liegen, das Heil bzw. Heilung des Menschen in Liebe zu ermöglichen sucht. 



3.2 Versuche der Rezeption: ein Überblick 


In diesem Abschnitt soll ein kurzer Überblick über verschiedene seelsorgliche Rezeptionsversuche der KP gegeben werden. Es gibt einige Versuche, die, da sie in der wissenschaftlichen Literatur schon vielfach dokumentiert sind, hier nicht noch einmal ausführlich besprochen werden sollen. 

Die KP zählt zu jenen psychotherapeutischen Ansätzen, aus denen einige Rezeptionsversuche für die Seelsorge hervorgebracht wurden. Erste Versuche, Aspekte der KP für die Seelsorge zu erschließen, erwuchsen aus der amerikanischen Seelsorgebewegung. Seward Hiltner entwickelte das sogenannte Pastoral Counseling, eine Form partnerzentrierter Seelsorge, die als ihren psychologischen Gewährsmann C. Rogers anführte. S. Hiltner versuchte die KP mit einer pastoralen Perspektive in Verbindung zu bringen. Wichtig war es ihm, klientenzentrierte Methodik und weniger das Verständnis von Person in einzelne Bereiche der Seelsorge einzuführen. Echtheit, Akzeptanz und Empathie sollten in der Seelsorge erfahrbar werden. 

In lukanischen Leitbildern fand S. Hiltner jenes Seelsorgeverständnis, an dem er sein Pastoral Counseling ausgerichtet sehen wollte. "Der Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter entnimmt er vor allem das seelsorgliche Prinzip, den anderen zuallererst so anzunehmen, wie er ist. Das Beispiel vom Hirten und dem verlorenen Schaf bringt für ihn zum Ausdruck, daß das Ernstnehmen des einzelnen und die ganzheitliche, liebevolle und bedingungslose Zuwendung zu ihm zentrale Intention evangeliumsgemäßer Seelsorge sind." Diese ersten Versuche S. Hiltners wurden vielfach kritisiert, stellen aber eine Art Rohentwurf einer pastoralen Rezeption der KP dar. I. Baumgartner spricht sogar davon, daß gerade wegen der Problematik dieses Entwurfes die Konzeptualisierung einer beratenden Seelsorge sehr gefördert wurde. Bereits P. Johnson versuchte, die S. Hiltner attestierte Engführung in eine mißverständlich non-direktive Seelsorge zu vermeiden, indem er "die Ich-Du-Beziehung, den Dialog in Rede und Gegenrede, in Theologie und Praxis der seelsorglichen Beratung stärker hervorhebt".

Die Entwicklung einer klientenzentrierten Seelsorge in Europa wurde vor allem durch die Ausbreitung der KP selbst vorangetrieben. Einen wesentlichen Anteil daran nahmen die Veröffentlichungen des Hamburger Ehepaars Annemarie und Reinhard Tausch ein. Es entstand eine gesprächspsychotherapeutische Bewegung, die an den psychologischen Instituten und Beratungsstellen begann und die kirchlicherseits durch die Aufbruchsstimmung nach dem II. Vatikanum angeregt wurde. 


Seit Beginn der 70iger Jahre hielt das Pastoral Counseling Einzug in die deutsche Pastoraltheologie und die seelsorgliche Ausbildung. Viele katholische Pastoraltheologen haben sich, um eine reflektierte pastorale Rezeption der KP zu erreichen, mit den evangelischen Kollegen in der Sektion "Kommunikations- und Verhaltenspsychologie" der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie zusammengeschlossen. Gemeinsam wurde von diesem Kreis ein Ausbildungsgang in "beratender Seelsorge" konzipiert, der an verschiedenen Institutionen angeboten wird.

Einige wichtige Autoren seien hier noch angeführt, die sich um eine kritische Rezeption der KP für die Seelsorge bemühten und wichtige Beiträge leisteten. H. Pompey, Hermann Stenger, H. Lemke, Josef Schwermer, Manfred Belok, I. Baumgartner und P. Schmid haben wichtige Beiträge in diesem breiten und oft spannungsgeladenen Feld geleistet.

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Klientenzentrierte Psychotherapie in der Seelsorge

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