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Klientenzentrierte Psychotherapie in der Seelsorge

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2. Beziehungsparadigmen von Praktischer Theologie und Psychotherapie 



In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene Versuche unternommen, Erkenntnisse der Psychotherapie in die Praktische Theologie und Seelsorge zu integrieren bzw. zu rezipieren. Hierbei haben sich verschiedene Paradigmen des gegenseitigen Umgangs herausgebildet, die ich nun hauptsächlich aus der Perspektive der Praktischen Theologie heraus besprechen werde. Die folgenden Modelle stellen dabei lediglich eine Auswahl dar, und erheben keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch bilden sie eine wichtige Grundlage für die Frage der Einbeziehung humanwissenschaftlicher Erkenntnisse bzw. der KP in der Seelsorge. Die von Hermann Steinkamp beschriebenen Paradigmen beziehen sich auf alle Humanwissenschaften und werden hier besonders im Blick auf die Psychotherapie besprochen.


2.1 Das "ancilla"- Paradigma:


"Ansätze, die diesem Paradigma zuzuordnen sind, gehen davon aus, daß Phänomene des Glaubens grundsätzlich nicht mit psychologischen Mitteln erfaßt werden können, bzw. daß Seelsorge etwas völlig anderes ist als Psychotherapie. Das wirkliche Wesen des Menschen ist den humanwissenschaftlichen Erkenntnisweisen unzugänglich; trotzdem kann die Theologie und die Seelsorge einzelne Aspekte und Methoden dieser Wissenschaften für sich nutzbar machen." 


Für H. Steinkamp liegt die Wurzel dieses Modells im Verhältnis der Theologie zur scholastischen Philosophie, die als Magd der Theologie bezeichnet wurde. Er unterscheidet dabei eine eher traditionelle "Erkenntnis"-Variante von der zeitgenössischen "Methoden"-Variante. Die "Erkenntnis"-Variante erwuchs einer Zeit, als die Theologie den Anspruch erhob, das "Ganze" der Wirklichkeit, auch der "über-natürlichen", sei ihr Erkenntnisgegenstand. Als Folge ergibt sich, daß alle Erkenntnisse anderer Wissenschaften der Theologie nutzbar gemacht werden müssen. Außerdem entscheidet das theologische Vorverständnis darüber, welche humanwissenschaftlichen Erkenntnisse als nützlich und welche als schädlich zu betrachten sind.

Die zeitgenössische "Methoden"-Variante erfreut sich einer größeren Beliebtheit und ist vor allem in verschiedenen Bereichen der Praktischen Theologie zu finden. Dabei werden einzelne psychotherapeutische Methoden für die Seelsorge nutzbar gemacht und von ihren metatheoretischen Wurzeln und anthropologischen Hintergründen getrennt. So lassen sich von der klientenzentrierten Gesprächsführung bis zur Zen-Meditation unterschiedlichste Methoden und Techniken finden, die unreflektiert übernommen werden. Für die Rezeption gilt: "die Theologie, die Seelsorge, die kirchliche Aufgabe liefern die Ziele, die Human- und Sozialwissenschaften die Methoden". Für die KP kann das bedeuten, daß z.B. die therapeutischen Grundhaltungen für die Seelsorge als Technik adaptiert werden, ohne ihr therapeutisches Gesamtkonzept zu berücksichtigen. 



2.2 Das Religionskritik - Paradigma 


Diese Verhältnisbestimmung ist so zu charakterisieren, daß die Psychotherapie die Aufgabe übernimmt, verschiedene "pathogene und pathologische Erscheinungsformen der Religion und der Seelsorge aufzudecken und zu analysieren. Meist geschieht dies auf Grund normativer psychologischer Konzepte der Reifung und Entwicklung des Menschen, die den Theologen Kriterien an die Hand geben können, gesunde und kranke Formen der Religiosität zu differenzieren." Eine kritische Position gegenüber verschiedenen Fehlformen religiöser Entwicklung kann von den meisten therapeutischen Schulen übernommen werden, da sie in der Praxis mit solchen Fehlformen oft in Berührung kommen. 

Natürlich ist es für die Kirche nicht leicht zu verkraften, daß sie, die sie den Menschen auf seinem Heilsweg begleiten und fördern will, auch viel Not und psychisches Leid verursachen kann. Es wäre aber der falsche Weg, seriöse Kritik nicht auch als Chance zur kritischen Reflexion zu begreifen, ohne sich gleich in oberflächliche Apologetik zu flüchten. Außerdem hat auch die Theologie die Möglichkeit und Verpflichtung, psychotherapeutische Verfahren zu kritisieren bzw. zu hinterfragen. 



2.3 Das "Fremdprophetie" - Paradigma


Hier übernimmt die Theologie "fasziniert ein ganzes Theoriegebäude, eine Handlungsmethode, einen Wissensbestand aus einer anderen Wissenschaft samt den ihnen implizierten Werten, Grundannahmen, Menschenbildern. 'Fremdprophetie' besagt in bezug, daß die Theologie in den Werten des fremden Wissensbestandes, hier der KP, vergessene Bestandteile ihrer eigenen jüdisch-christlichen Tradition wiederentdeckt oder einfach auf Ideale stößt, die sie als Bereicherung, als 'neue' Wahrheit, als 'Offenbarung' sieht". 

Beispiele für Fremdprophetie finden sich in der Rezeption einiger psychotherapeutischer Ansätze. Im deutschsprachigen Raum sind vor allem Methoden der Humanistischen Therapie zu nennen, die z.B. für kirchliche Beratungsdienste, für die Erwachsenenbildung, kirchliche Sozial- und Jugendarbeit und für einige andere Bereiche entdeckt wurden. Auch die therapeutischen Grundhaltungen der KP sind so in die seelsorgliche Arbeit integriert und als besondere Tugenden verstanden worden. 

Den Hintergrund solcher Rezeptionsversuche bilden oft sehr intensive Erfahrungen von Akzeptanz und Offenheit, aber auch Gefühlen der Entlastung und Befreiung von unerledigten biographischen Erfahrungen in der therapeutischen Situation, die einen neuen Zugang zu verschiedenen zentralen christlichen Begriffen wie Gnade, Vergebung oder Erlösung eröffnen können. Hierbei besteht die Gefahr einer unkritischen Übernahme verschiedener therapeutischer Konzepte, was zu Verkürzungen und Ideologisierungen führen kann. K.-H. Ladenhauf meint dazu: "Langjährige Erfahrungen in der pastoralpsychologischen Fortbildung zeigen mir deutlich, daß die Gefahr eines inkompetenten, ideologisierenden Umgangs mit humanwissenschaftlichen Methoden umso geringer ist, je gründlicher ein psychotherapeutisches Verfahren erfahren und erlernt wird". Er sieht aber auch positive Auswirkungen für die Seelsorge durch die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Fremdprophetie der Humanwissenschaften. So haben diese innerhalb der Theologie und Seelsorge zu einer Neubesinnung auf die zentrale christliche Botschaft von der gnadenhaften Annahme des Menschen geführt. Die Wertschätzung der Diakonie innerhalb der kirchlichen Grundfunktionen und die damit verbundene Aufwertung der seelsorglich-diakonalen Praxis, z. B. die christlich orientierte Lebenshilfe, wurden dadurch wieder stärker als Ort theologischer Erkenntnis und Wahrheitsfindung erschlossen. 



2.4 Das Paradigma konvergierender Optionen


Die oben angeführten Beziehungsmodelle weisen insgesamt einen einseitigen bzw. verkürzenden Charakter auf. Hierbei werden verschiedene wichtige Aspekte der einzelnen wissenschaftlichen Systeme nicht wahrgenommen, nicht akzeptiert und gehen dadurch verloren. Eine wissenschaftlich seriöse und fruchtbare Auseinandersetzung erscheint aber nur durch Modelle gleichwertiger Kooperation möglich. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß man vom aktuellen Wissensstand her betrachtet weder von der Theologie und ihrem geschichtlich unveränderbaren Menschenbild noch von der Humanwissenschaft und ihren unterschiedlichsten Betrachtungen ausgehen kann, erscheint H. Steinkamp eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nur partiell und in konkreten Bereichen möglich. 

Dabei soll die Selektion des "fremden" Wissensbestandes auf der Basis gleicher bzw. konvergierender Optionen erfolgen. "Die gemeinsame Option erfüllt dabei verschiedene Funktionen: sie selektiert aus der potentiellen Komplexität sinnvoll Wissen; sie leitet zu gemeinsamen, d.h. interdisziplinären Suchbewegungen an, sie produziert vor allem problembezogenes und Problemlösungs-Wissen." Eine solche Option könnte dabei in der Schaffung geeigneter Voraussetzungen liegen, menschliches Zusammenleben sinnvoll zu ermöglichen und zu gestalten. Fragen des individuellen, sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Lebens bis hin zu den Grenzfragen des menschlicher Existenz unter Einbeziehung der religiösen Dimension könnten in einem kritischen interdisziplinären Dialog erarbeitet werden. Hierbei können beide Bereiche, Theologie wie Psychotherapie einen wichtigen Beitrag leisten, ohne der anderen Wissenschaft in manchen Fragen gleich die Existenzberechtigung bzw. Kompetenz zu entziehen. Interdisziplinäre Kooperation zwischen Theologie und Humanwissenschaften bzw. Psychotherapie bezeichnet hier nicht etwas völlig Neues, sondern führte ja schon zur Ausbildung von theologischen Disziplinen, die sich auch als Humanwissenschaft verstehen. Diese Tatsache führt uns zum nächsten Beziehungsparadigma.



2.5 Praktische Theologie als Humanwissenschaft


Dieser Typus der Zusammenarbeit stellt die praktische Umsetzung des Paradigmas der konvergierenden Optionen dar und manifestiert sich in Gestalt einzelner theologischer Spezialdisziplinen der Praktischen Theologie wie z.B. Pastoral- und Religionspsychologie. Eine mögliche selektive Option würde bewirken, daß der Pastoralpsychologe mit dem Instrumentarium der KP, der Integrativen Therapie, der Psychoanalyse etc. arbeitet. 
Ähnliche interdisziplinäre Felder der Zusammenarbeit sind auch im Bereich anderer Wissenschaften entstanden. Als Beispiel sei hier der Forschungsbereich Medizin-Soziologie zu nennen. Solche Disziplinen sprengen, auf Grund der neuen Anforderungen durch ständige Differenzierung und Spezialisierung der Wissenschaften, die herkömmlichen Systemgrenzen der einzelnen Universitätsdisziplinen. 

Es gibt also innerhalb der Praktischen Theologie Teildisziplinen, die sich als Humanwissenschaft verstehen. H. Steinkamp gibt dafür verschiedene Bedingungen, die wissenschaftstheoretische Kriterien darstellen, unter denen eine solche Zuschreibung allein zu rechtfertigen ist: "Wo eine Pastoralpsychologie einfachhin Erkenntnisse der Humanwissenschaften, hier der Psychologie [bzw. der Psychotherapie, Vf.], auf pastorale Handlungsfelder anwendet, ist sie damit noch nicht selbst Humanwissenschaft, sondern praktiziert das "ancilla"-Modell." Zur Humanwissenschaft wird Pastoralpsychologie erst, indem sie einen Beitrag zur Psychotherapieforschung leistet. Für die KP könnte ein Beispiel so aussehen: die religiöse Dimension des Menschen, die von C. Rogers weitgehend nicht beachtet bzw. vernachlässigt wurde, für die KP zu erschließen, wäre ein sehr wichtiger Beitrag, der vielfach noch nicht geleistet wurde und das Therapiekonzept der KP weiterentwickeln könnte.

In seinem Resümee beschließt H. Steinkamp seine Überlegungen mit dem Fazit, daß die Theologie bis heute viel mehr von Ergebnissen der Humanwissenschaften beeinflußt bzw. inspiriert wurde als umgekehrt, daß der Theologie aber die bedeutungsvolle Aufgabe zustünde, allen Versuchen gegenüber der Festschreibung dessen, was der Mensch sei, "den eschatologischen Vorbehalt geltend [zu machen], daß diese Frage auch erst mit dem 'Ende der Zeit' beantwortet sein wird: Die Theologie hat diese Frage offenzuhalten unter Hinweis auf die theologischen 'Wahrheiten' der Kreatürlichkeit, der Sündigkeit und des gleichwohl unbedingten 
Bejaht-Seins - und in alldem der Geheimnishaftigkeit und Unverfügbarkeit des Menschen als imago Dei".

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