5. Abschließende Bemerkungen
Es wurde gezeigt, daß C. Rogers das Menschenbild der KP aus seiner
empirischen Praxis heraus in einem Nahverhältnis zu einzelnen
Vertretern des Existentialismus entwickelt hat. Hierbei ist
aufgefallen, daß das Menschenbild der KP eine beträchtliche
Transzendenzarmut aufweist. C. Rogers hat den Aspekt der Transzendenz
- der Gottbezogenheit - für sein Konzept nicht beachtet. Die Frage,
wie wichtig dieser Aspekt für ein Psychotherapieverfahren ist, wurde
im Exkurs über E. Levinas angedeutet und muß zum jetzigen Zeitpunkt
unbeantwortet bleiben. KP, die in der Seelsorge Verwendung finden
soll, kann jedoch ohne Einbeziehung des christlichen Glaubensverständnisses
nicht auskommen. Eine einfache Übernahme des "technischen"
Repertoires der KP im Sinne des "ancilla"-Paradigmas erweist
sich nach H. Steinkamp
als zu einseitig und zu vereinnahmend.
Im Gegensatz dazu sollte eine Theologie, die an der KP wirklich
interessiert ist, sich in bezug auf das Konzept der KP Kompetenz
aneignen und sich im Sinne einer Praktischen Theologie als
Humanwissenschaft an der Entwicklung der KP beteiligen. Erst wenn sich
die Theologie in diesem Sinne kompetent macht, wird ein kritischer
Dialog zwischen Theologie und KP möglich. Hierzu genügt es
allerdings nicht, sich allein theoretisches Wissen anzueignen, da ein
eindeutiges Verständnis der KP letztlich nur in der
Beziehungserfahrung der Therapiesituation zu erleben ist.
Die Mängel des Menschenbildes der KP sind aber nicht nur als
Negativum zu betrachten. Da hinsichtlich eines Gottesverständnisses
jedwede Deutungsmuster fehlen und das Menschenbild der KP im Vergleich
mit einem christlichen Verständnis keine unüberwindbaren Gräben
aufreißt, ist einer Einbindung christlicher Deutungen eine Chance
gegeben. Hier müssen nicht wichtige Teile des Konzeptes der KP
aufgegeben werden, um den Anforderungen der Seelsorge zu genügen.
Hier können christliche Deutungen in behutsamer Annäherung in das
Konzept der KP integriert werden. Einen ersten Impuls könnte die
Auseinandersetzung Mit E. Levinas geben. Hinsichtlich einer Veränderung
in die beschriebene Richtung sollten jedenfalls intensive
interdisziplinäre Kontakte gepflegt werden.
Eine wichtige Aufgabe, die der Theologie in bezug auf
psychotherapeutische Tätigkeit allgemein zufällt, ist auch im
Hinblick auf die KP wahrzunehmen, nämlich das Aufwerfen der Frage
nach den Grenzen der Psychotherapie. Es ist ja kein Geheimnis, daß
der Psychotherapie in unserer Gesellschaft schon oft die Rolle einer
"Ersatzreligion" zugeschrieben wird, sei es, weil die
Seelsorge ihr Potential nicht zu nutzen vermag oder sei es, weil
einige Psychotherapeuten sich als "guruähnliche" Persönlichkeiten
verstehen, die für sich die Möglichkeit und Autorität beanspruchen,
Menschen von ihrem Leid zu erlösen. Doch wieweit kann die
Psychotherapie in Glaubensfragen und persönlichen Glaubensproblemen
kompetent sein?
Hier wäre es für die KP wichtig, in einen redlichen Dialog mit der
Theologie einzutreten. Ebenso ist es die Aufgabe der Theologie, ihre
Vorbehalte dahingehend geltend zu machen. Dies kann, wenn ein Dialog
auf institutioneller bzw. wissenschaftlicher Ebene nicht immer möglich
ist, doch wenigstens in persönlichen Gesprächen zwischen
Psychotherapeuten und Seelsorgern geschehen.
Die KP als Therapieverfahren erscheint mir mit ihrem Verständnis von
Beziehung und Begegnung für eine Rezeption in der Seelsorge besonders
geeignet. Sie versteht sich, wie beschrieben, nicht einfach als
Methode, die mit bestimmten Techniken die Heilung psychischer Defekte
bewirkt. Der KP-Therapeut versucht im therapeutischen Prozeß eine
persönliche, die ganze Persönlichkeit des Therapeuten umfassende
Beziehung mit dem Klienten einzugehen und nicht bloß ein
"technisches Repertoire" anzuwenden. Darum geht es der KP
auch in der Ausbildung nicht darum, daß ein Kandidat lernt, wie er
eine Methode anwendet, sondern daß er selbst Methode wird. Die
therapeutischen Grundhaltungen sollen in einem Prozeß ständiger
Entwicklung zu einer Charakterhaltung werden, die zwischenmenschliche
Beziehung in gegenseitiger Achtung und Liebe zu ermöglichen sucht.
Wichtig bei der Übernahme klientenzentrierter Vorgehensweisen in der
Seelsorge ist, daß diese in ihrer Komplexität erkannt werden. Es
wurde in der Einführung zu den therapeutischen Grundhaltungen
versucht, diese Komplexität anzudeuten und es soll an dieser Stelle
davor gewarnt werden, verkürzte Anwendungen und deren Folgen einer
unzureichenden Theorie zuzuschreiben. Überhaupt ist vor
"Schnellsiedekursen" jeglicher Art zu warnen, wo sich nach
ein paar Wochenenden Selbsterfahrung manche als in diesem Bereich
ausgebildet empfinden und über ihre tatsächlichen Befähigung hinaus
agieren.
Wie könnte sich das Verhältnis KP und Seelsorge in der Praxis
darstellen? Den Idealfall bildet der Seelsorger, der gleichzeitig auch
psychotherapeutisch ausgebildet ist. Dies ist aber praktisch nicht möglich
und auch im Blick auf die realen Anforderungen nicht unbedingt
erforderlich.
Psychotherapie findet in einem speziellen psychotherapeutischen
setting statt und beinhaltet von seiten des Klienten den Auftrag und
die Berechtigung für den Therapeuten, das erlernte
psychotherapeutische Verfahren anzuwenden. Gezielte Persönlichkeitsveränderung
ist mit ein Ziel von Psychotherapie.
Der Seelsorger, der mit einem Mitglied seiner Gemeinde in Kontakt
kommt und um Hilfe gebeten wird, hat nicht denselben Auftrag.
Vielleicht geht es um die Frage, welcher Berufsweg eingeschlagen
werden soll oder wie innerfamiliäre Konflikte zu lösen sind?
Probleme, die natürlich auch immer mit dem Entwicklungsstand der Persönlichkeit
der Betroffenen zu tun haben. Deshalb ist aber nicht notwendigerweise
eine Psychotherapie zu empfehlen oder kann alleine ein Psychotherapeut
helfen. In diesen oder ähnlichen Situationen würde es oft genügen,
daß eine Vertrauensperson z.B. ein Seelsorger in einem persönlichen
Gespräch als hilfreiche Person wahrgenommen wird und mit dem
Hilfesuchenden zusammen mögliche Lösungen erarbeitet. Doch
anscheinend ist es ein Problem unserer Zeit, daß wichtige Grundformen
mitmenschlicher Kommunikation verloren gegangen sind und als spezielle
Qualifikationen neu erlernt werden müssen.
So gehört es meiner Meinung nach zur seelsorglichen Grundausbildung,
eigene Verhaltensweisen und Defizite unter kompetenter Begleitung
wahrnehmen und reflektieren zu lernen. Hier könnte die KP in der
Ausbildung, durch Selbsterfahrung und Supervision wichtige Dienste für
eine Kompetenzerweiterung der Seelsorger bringen. Das eigene
Handlungspotential der einzelnen könnte erweitert werden und so der
entsprechenden Neigung die richtige Eignung verleihen.
Die Verankerung der psycho-sozialen Kompetenzerweiterung in der
Seelsorge wäre jedoch nicht durch einen einmaligen
"Schnupperkurs" gewährleistet und müßte sinnvollerweise
durch eine ständige berufsbegleitende Supervision und Fortbildung ermöglicht
werden.
Zusammenfassend läßt sich über Menschenbild und Methode der KP
folgendes sagen: Die KP hat sich in der Untersuchung ihres
Menschenbildes und ihrer Persönlichkeitstheorie als ein für die
Rezeption in der Seelsorge geeignetes Psychotherapieverfahren
dargestellt. Eine fruchtbare Zusammenarbeit wird aber besonders davon
abhängen, inwieweit sich KP und Seelsorge der eigenen Möglichkeiten
und Grenzen bewußt werden und diese in einem gegenseitigen
wohlwollenden, aber dennoch kritischen Dialog zur Sprache bringen.
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