In diesem kurzen Essay möchte ich
mich mit einer ethischen Frage der Psychotherapie auseinandersetzen,
mit der ich in der letzten Zeit zweimal konfrontiert worden bin.
Diese Anlässe halte ich deswegen für erwähnenswert, weil die
Kritik am geschäftlichen Aspekt der Psychotherapie
bezeichnenderweise in beiden Fällen von "homines religiosi"
an mich herangetragen wurde: Einer von ihnen ist ein katholischer
Priester und wird in Kürze die Seelsorge in einem Krankenhaus übernehmen,
der andere studiert baptistische Theologie und überlegt meines
Wissens, ebenfalls eine priesterlich-seelsorgerische Laufbahn
einzuschlagen. Die Aufgabenstellung einer Lehrveranstaltung über
Ethik gibt mir die Chance, mich explizit mit deren Fragen bzw.
Kritiken auseinanderzusetzen und Antworten darauf zu finden.
So sehr die Meinungen der erwähnten beiden Theologen sonst weit
auseinandergehen mögen: Die Vorstellung, sich
"seelsorgerische" Tätigkeiten finanziell begleichen zu
lassen, stößt offensichtlich bei ihnen gleichermaßen auf
Ablehnung. Aus ihren Äußerungen glaube ich herausgehört zu haben,
daß
1. es moralisch schwer
vertretbar ist, Geld "fürs Helfen" zu verlangen.
2. der finanzielle Aspekt eine
hilfreiche Beziehung zwischen "Seelsorger" und
"Hilfesuchendem" stört.
Eine allgemeine Anwendung dieser Thesen steht dabei freilich nicht
zur Diskussion:
Niemand würde z.B. einem Arzt einen Vorwurf daraus machen, für
seine Berufsausübung eine Entlohnung zu verlangen.
So sehr beim Arzt auch Hilfe gesucht und gefunden wird: Letztlich fällt
sein Beruf genauso wie der des Polizisten ("Dein Freund und
Helfer"), des Friseurs oder des Maurers unter die Kategorie
selbstverständlich zu bezahlender Dienstleistungen.
Dagegen fällt es uns (nicht nur Theologen) offensichtlich schwer,
in der Seelsorge oder Psychotherapie geleistete Hilfe als
Dienstleistung zu sehen.
Diese Haltung ist m.E. in der christlichen Tradition begründet:
Einem anderen Menschen seelischen Beistand zu leisten, wird
besonders in der christlichen Denktradition als Akt der Nächstenliebe
bewertet.
An diese Zuordnung knüpfen sich weitere Attribuierungen und
Forderungen an den Helfer: Nächstenliebe muß eine Sache des
Herzens sein. Sie muß selbstlos sein und darf nichts mit eigenen
Interessen zu tun haben, schon gar nicht mit geschäftlichen.
Diesen Assoziationen steht ein nüchtern klingendes Berufsbild des
Psychotherapeuten entgegen: Der Psychotherapeut handelt nicht aus Nächstenliebe,
sondern aus Interesse an sich und anderen Menschen. Er möchte eine
Dienstleistung erbringen und gutes Geld damit verdienen. Natürlich
freut er sich, wenn er einem Klienten helfen kann: ein schöner,
vielleicht berührender Erfolg für seinen Klienten und für ihn
selbst.
Diese Vorstellungskomplexe zum Thema "Seelischer Beistand"
unterscheiden sich grundlegend und konkurrieren miteinander. Eine
Differenz, die sich auch auf unsere konkrete Frage auswirkt, ist
dabei besonders ins Auge gefallen: Im christlichen Ideal tätiger Nächstenliebe
werden die Interessen und Bedürfnisse des Helfers nur insofern
angesprochen, als sie möglichst keine Rolle spielen sollen: Nächstenliebe
ist selbstlos (Eine "himmlische" Belohnung wird ihr zwar
verheißen, der Helfer darf aber nicht an sie denken).
Dagegen hat der Psychotherapeut eigene Interessen bei seiner
Berufsausübung, nicht zuletzt geschäftliche. Er wird sogar
angehalten, sich dieser und sonstiger Motivationen sehr bewußt zu
sein und dazu zu stehen:
Neben den bisher angedeuteten geschäftlichen und moralischen Gründen,
die Rolle eines Helfers einzunehmen, ist noch eine breite Palette
anderer Motivationen möglich.
Jemandem helfen bedeutet, sich in eine überlegene Position zu
bringen. Damit geht eine Stärkung des Selbstwertgefühles einher:
Der Helfer ist stark und gut - er stellt sich in einen positiven
Kontrast zum schwachen, fehlerhaften Hilfbedürftigen, möche von
ihm und anderen bedankt und bewundert werden.
Helfen erzeugt Verpflichtungen und Abhängigkeiten gegenüber dem
Helfer. Helfen bedeutet auch, Macht ausüben zu können.
Nicht selten versuchen Menschen, sich von ihren eigenen Problemen
abzulenken, indem sie sich auf die Probleme anderer stürzen.
Gleichzeitig kann der Versuch, anderen zu helfen, der indirekte
Versuch sein, sich selbst zu helfen bzw. zu heilen: Es ist leichter,
die eigenen Probleme auf dem Rücken anderer auszutragen, als sich
direkt damit zu konfrontieren.
Helfen als Wiedergutmachung (Helfen aus Schuldgefühlen)
In der christlichen Definition von Hilfe (aus Nächstenliebe oder
Liebe zu Gott) werden diese Motivationen tendenziell entweder
ausgeklammert oder negativ beurteilt: Nächstenliebe ist selbstlos,
die persönlichen Motivationen des Helfers, geschweige geschäftliche
Interessen, dürfen in ihr keine Rolle spielen.
Indem ein im Sinne christlicher Nächstenliebe tätiger Helfer kein
Entgelt für seine Hilfe annimmt, demonstriert er, daß er dabei
keine eigenen Interessen verfolgt. Tatsächlich läßt sich ein
geschäftliches Interesse relativ leicht ausschließen - (Eventuell
vorhandene) Emotionale Interessen im oben beschriebenen Sinn nicht
so leicht:
Sie können verleugnet werden: Was nicht sein soll, ist auch nicht.
Sie können in einer Gewissensprüfung aufgespürt, verurteilt (bzw.
gebeichtet) und möglichst ausgeklammert werden.
Wenn ein caritativer Helfer seine eigenen Bedürfnisse, die er beim
Helfen abzudecken versucht, verleugnet, bleiben sie unreflektiert
und daher umso massiver bestehen: Er kann nicht einmal gedanklich,
schon gar nicht emotional auf Distanz zu ihnen gehen. Ohne sich
dessen bewußt zu sein, benützt der "Helfer" den
"Hilfsbedürftigen", um seine eigenen Bedürfnisse (das
Bedürfnis nach Anerkennung, Macht, Dankbarkeit, Ablenkung,
Selbstheilung) zu befriedigen.
Für den Fall, daß er sich seiner eigenen emotionalen Interessen
bewußt wird
kann er seine Hilfstätigkeit beenden (weil sie "falsch"
ist).
er kann sie mit dem schlechtem Gewissen der Unzulänglichkeit seiner
Nächstenliebe weiterführen
er kann versuchen, beim Helfen seine eigenen emotionalen Interessen
möglichst auszuklammern. Dabei nimmt er in Kauf, mit seinen
eingestandenermaßen vorhandenen Bedürfnissen selbst zu kurz zu
kommen (wenn er sich nicht mit der Befriedigung über seinen
heroischen Kampf um Selbstlosigkeit schadlos hält).
Im Fall, daß der Helfer um der Nächstenliebe willen seine eigenen
Bedürfnisse bewußt ignoriert, wird der Unterstützte noch mehr in
eine Schuldnerposition gedrängt: "Mein Helfer nimmt
Versagungen auf sich, um mir zu helfen." "Mein Helfer ist
anspruchlos, ich nicht (sonst ließe ich mir nicht helfen)"
"Ich muß meinem Helfer dankbar sein, darf ihm nie böse sein
(auch wenn ich mich von ihm nicht ernstgenommen oder bevormundet fühle)".
In der "selbstlosen" Seelsorge kommt es automatisch zu
einem Ungleichgewicht zwischen Helfer und Hilfsbedürftigen: Der
Helfer ist stark und moralisch überlegen (schlecht der, der dies in
Frage stellt), der Hilfsbedürftige schwach und moralisch
verpflichtet.
Auf diese Weise kommt der "selbstlose Seelsorger" meistens
doch auf seine Rechnung. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß
nicht nur sein "Schützling" von seiner Hilfeleistung und
Güte abhängig wird, sondern auch er selbst vom Helfen: Im Helfen
hat er eine Möglichkeit gefunden, Bedürfnisse zu befriedigen und
Anerkennung (vor sich) zu finden.
Diese Abhängigkeit des Helfers vom Helfen kann soweit führen, daß
der Helfer im Grunde kein Interesse mehr hat, den Hilfsbedürftigen
aus seiner Hilfsbedürftigkeit herauszuführen - Möglicherweise hat
auch der Hilfesuchende Angst vor Selbstständigkeit, wodurch sich
ein negatives, von gegenseitiger Abhängigkeit geprägtes
Beziehungsmuster festschreibt.
Ein Psychotherapeut verlangt Geld für seine Tätigkeit. Inwiefern
soll sich das auf die Beziehung zwischen ihm und seinem Klienten
auswirken ?
Mit seinem Anspruch nach Entgelt signalisiert der Therapeut dem
Klienten, daß er nicht aus selbstloser Nächstenliebe handelt,
sondern auch im eigenen Interesse.
Der Klient bezahlt den Therapeuten gut. Er kommt daher ihm gegenüber
weder in die Situation des Unterlegenen noch in eine
Schuldnerposition. Der Klient kann Ansprüche an seinen Therapeuten
und ist frei, auch negative Gefühle ihm gegenüber zu entwickeln
oder sich von ihm zu lösen.
Das erleichtert dem Therapeuten den Einblick in das komplexe Gefühlsleben
des Klienten. Die Beziehung des Klienten zu ihm ist ein Spiegel
realer Beziehungsmuster.
Durch den Geschäftscharakter einer Therapie soll dem Klienten
signalisiert werden, daß er letztlich seine Beziehungserwartungen
nicht auf den Therapeuten fixieren oder konzentrieren kann. Therapie
bedeutet eine gemeinsame, partnerschaftliche Arbeit.
Beziehungserleben muß auch - und vor allem - außerhalb eines
professionellen Rahmens stattfinden. Durch feste Geldvereinbarungen
und Termine erfolgt eine deutliche Abgrenzung zwischen Therapeuten
und Klienten. Diese ist begrüßenswert, ja notwendig.
Da der Therapeut für seine Arbeit gut bezahlt wird, kommt er grundsätzlich
nicht zu kurz. Das erleichtert ihm, seine persönlichen Bedürfnisse
in der therapeutischen Situation zurückzustellen: er hat dabei zu
arbeiten, nicht seine Bedürfnisse abzudecken, und seine Arbeit
zahlt sich ja schließlich aus.
Auch für den Therapeuten bedeutet die Geschäftssituation mit
festen Entgelten und Terminen eine deutliche Abgrenzung gegenüber
seinem Privatleben.
Trotzdem kann der Therapeut auch in einer Geschäftssituation (zum
Glück) seine Bedürfnisse nicht abstellen. Er soll sich ihrer bewußt
sein, sie akzeptieren, aber auch überprüfen und kontrollieren können.
Dazu dient vor allem die Lehrtherapie.
Eine Psychotherapie darf natürlich für den Therapeuten nie primär
Geldsache sein. Der geschäftliche Aspekt stellt nur einen Rahmen
dar.
Auch im Rahmen einer "Geschäftssituation" ist genug Platz
für Wohlwollen und Herzlichkeit. Daß sie sich abseits von
Schuldgefühlen bzw. Überlegenheit entwickeln, macht sie sogar
unkomplizierter, ehrlicher und wärmer.
Gerhard
Lukits |