Wie sieht nun die therapeutische Praxis aus? Welche
didaktischen Möglichkeiten und Techniken werden im therapeutischen
Prozess eingesetzt ? Diese Fragen sollen im Anschluss erarbeitet
werden.
Das
Vermächtnis von Rogers ist die Überzeugung, dass Psychotherapie
nicht durch spezifische Techniken oder Fachwissen getragen wird,
sondern von einer persönlichen Lebens- und Umgangsweise.
„Der
personzentrierte Ansatz ist in erster Linie eine Seinsweise (a way
of being), die ihren Ausdruck in Einstellungen und
Verhaltensweisen findet, die ein wachstumsförderndes Klima
schaffen. Der Umgang mit dem Anderen ist nicht auf Technik oder
Methodik focussiert, sondern von dieser grundlegende Philosophie
getragen. Wenn diese Philosophie gelebt wird, hilft sie der
Person, die Entwicklung ihrer eigenen Kapazität zu erweitern. Wenn
sie gelebt wird, stimuliert sie auch konstruktiven Wandel in
anderen. Sie gibt dem einzelnen Kraft, und die Erfahrung zeigt,
dass die persönliche Kraft, wenn sie gespürt wird, nach
persönlicher und sozialer Veränderung strebt“
Dennoch ist
Psychotherapie ein konstruiertes Geschehen, das eine strukturierte
und zielorientierte Situation darstellt, und therapeutische
Techniken nicht ausschließt. Wenn Methoden und Techniken in die
Therapie einfließen, sollen sie auf dem Hintergrund der
Grundeinstellungen im persönlichen Reflektieren und aus der
Erfahrung herauswachsen. Für Rogers haben sie keine essentielle
Bedeutung, bekommen aber als kongruenten Ausdruck des Therapeuten
ihre Wichtigkeit.
Das Wesen des therapeutischen Prozesses formuliert
Rogers folgendermaßen:
-
„Zwei Personen
befinden sich im Kontakt.
-
Die erste Person, die
wir Klient nennen, befindet sich in einem Zustand der
Inkongruenz; sie ist verletzt oder voller Angst.
-
Die zweite Person,
die wir Therapeut nennen, ist kongruent in der Beziehung.
-
Der Therapeut
empfindet bedingungslose positive Beachtung gegenüber dem
Klienten.
-
Der Therapeut erfährt
empathisch den inneren Bezugsrahmen des Klienten.
-
Der Klient nimmt
zumindest in geringem Ausmaß die Bedingungen 4 und 5 wahr,
nämlich die bedingungslose positive Beachtung des Therapeuten
ihm gegenüber und das empathische Verstehen des Therapeuten.“
Im Laufe der
wissenschaftlichen Untersuchungen über Wirksamkeit dieses
Therapiekonzeptes wurde das Verständnis der grundlegenden
operationalen Philosophie des Therapeuten zu Grundhaltungen als
konkrete Techniken d.h. zu Therapeuten- „Variablen“ verkürzt. So
entwickelte sich z.B. vor allem im deutschen Sprachraum die
Auffassung, dass es sich bei der Klientenzentrierten
Psychotherapie um eine einfache Technik des „Spiegelns“ handle.
Rogers
formulierte Bedingungen, die einen therapeutischen Prozess
kreieren und nicht Handlungsanweisungen für den Therapeuten.
Dies betont
auch Höger (1989), wenn er Rogers’ Therapiekonzept in verschiedene
Abstraktionsebenen unterteilt:
I.
Die Ebene der
therapeutischen Beziehung allgemein im Gegensatz zu anderen
Beziehungsformen
II.
Die Ebene
zusammenfassender Merkmale der therapeutischen Beziehung
(Therapietheorie)
III.
Die Ebene
zusammenfassender Klassifikationen therapeutischen Verhaltens
(z.B. „VEE“)
IV.
Die Ebene konkreter
einzelner Verhaltensweisen
Rogers hat
sein Therapietheorie auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau
formuliert, deren Ebenen in der Einteilung von Höger in einer
hierachisch-logischen Beziehung zueinander stehen. Konkretes
Verhalten muss der jeweiligen Situation entsprechen und zugleich
mit den Prinzipien der höheren Ebenen (III,IV) übereinstimmen,
andererseits entscheidet auch die jeweilige Situation, ob
Konkretisierungen in Übereinstimmung mit den Prinzipien höherer
Ebenen stehen.
Mit den
angesprochenen Abstraktionsebenen ist es gelungen, das
Missverständnis von den „Basisvariablen“, wissenschaftlich
verständlich argumentiert, aufzuklären und das Wesen des
Therapiekonzepts als personales Geschehen herauszustreichen.
Außerdem wird aus dieser Perspektive auch die Notwendigkeit,
schulenspezifische Techniken und Methoden zu entwickeln, sichtbar
(Ebenen III, IV), durch die die Grundhaltungen in Verflechtung mit
der Persönlichkeit des Therapeuten zum Ausdruck kommen können.
Eine
Beziehung, die als bestimmte Form der Beziehung mit Menschen („way
of being with persons“) als wesentlicher Wirkfaktor für eine
therapeutische Veränderung steht, ist geprägt von Grundhaltungen
des Therapeuten, die mit den Worten Kongruenz, bedingungslose
Wertschätzung und Empathie umschrieben werden können.
Für Rogers ist
Echtheit die „grundlegendste unter den Einstellungen des
Therapeuten“.
Unter Echtheit versteht er, dass „der Therapeut in der Beziehung
zu seinem Klienten er selbst ist, ohne sich hinter einer Fassade
oder Maske zu verbergen ... dass der Therapeut sich dessen, was er
erlebt oder leibhaftig empfindet, deutlich gewahr wird, und dass
ihm diese Empfindungen verfügbar sind, so dass er sie dem Klienten
mitzuteilen vermag, wenn es angemessen ist, ... es bedeutet, dass
es sich um eine direkte, personale Begegnung mit dem Klienten
handelt, eine Begegnung von Person zu Person. Es bedeutet, dass
der Therapeut er selbst ist und sich nicht verleugnet“.
In dieser
Übereinstimmung mit sich selbst hat der Therapeut auch die
Freiheit präsent zu sein. Diese Gegenwärtigkeit, die auch das
Gewordensein und die Perspektive für die Zukunft mit einschließt,
ermöglicht das unmittelbare Erleben mit dem Anderen im jeweiligen
Augenblick. Darin steckt auch die Un-mittel-barkeit, die aus
dieser Perspektive jenseits aller Mittel, Methoden und Techniken
steht.
Die Person ist
frei und tief sie selbst und ihre gegenwärtigen Erfahrungen werden
von ihrem Bewusstsein, das sie von sich hat, repräsentiert. Darin
liegt eine grundsätzlich vertrauensstiftende Dimension, die es
ermöglicht für den anderen bedingungslos offen zu sein.
Wie weit sich
der Therapeut als Person mit seinen Schwächen und Eigenheiten
einbringen soll, bleibt letztlich vom Kongruenzverständnis bzw.
von der Interpretation abhängig.
Lietar (1992)
betont, dass eine echte und direkte Beziehung nur in der Offenheit
des Therapeuten zu sich selbst (in der eigenen gelebten
Wertschätzung) möglich sein kann und plädiert für ein offenes
Ansprechen persönlicher Schwachstellen. Dagegen vertreten
Biermann-Ratjen, Eckert und Schwartz (1995) die Ansicht, dass das
Hauptaugenmerk auf die Kongruenz oder auch Inkongruenz des
Therapeuten zum Klienten im therapeutischen Augenblick liegen soll
und der Versuch des Verstehens in den Vordergrund treten soll.
Finke dagegen
sieht den Schwerpunkt im Dialog mit dem Klienten, da er anhand der
Perspektiven des Therapeuten über seinen inneren Dialog hinaus
sein Selbstverstehen und Erleben überprüfen und auch korrigieren
kann.
Welche
Position auch immer im Vordergrund steht, letztlich dient das
authentische Verhalten des Therapeuten der personalen Begegnung.
Wie sieht nun kongruentes Verhalten in einer
therapeutischen Beziehung aus? Rogers hat hierfür konkrete
methodische Schritte für das therapeutische Handeln festgehalten.
Im Vertrautsein mit dem inneren Erleben d. h. im Zustand der
Kongruenz soll der Therapeut dem Klienten mitteilen, was er in der
Beziehungsdynamik mit dem Klienten bei sich wahrnimmt.
Diese Aussagen sollen die Empfindungen des
Therapeuten widerspiegeln, dürfen aber kein Urteil und keine
Interpretation beinhalten. Im Versuch das Erleben, das im Verlauf
der Therapie zwischen Therapeut und Klient entsteht, einzubringen,
entstehen neue Impulse, die den therapeutischen Prozess lebendig
halten.
Finke (1994)
beschreibt mit den Interventionskategorien Konfrontieren,
Beziehungsklärung und Selbsteinbringung die praktische Arbeit mit
dem Therapieprinzip Echtheit.
Im
Konfrontieren macht der Therapeut den Klienten auf mögliche
Widersprüche zwischen dessen Selbstwahrnehmung und
Fremdwahrnehmung aufmerksam. Diese Interventionsform ist nur auf
dem Boden unbedingter Wertschätzung und empathischem Verstehen
effizient, da sich der Klient leicht ertappt fühlen kann und mit
Widerstand reagieren könnte.
Der Aspekt der
Beziehungsklärung führt den Therapeuten in die innere Welt des
Klienten, wenn er quasi als Teil dieses Innenlebens dessen Hoffen,
Wünschen und dessen Befürchtungen mitträgt. In diesem
interaktionsbezogenen Verstehen sieht Finke den Grundsatz im Hier
und Jetzt zu arbeiten, garantiert.
-
Beziehungsklärung - Selbsteinbringung
Wenn der
Therapeut sich selbst – seine Emotionen – dem Klienten gegenüber
einbringt, ist es für den Therapeuten , auch wenn er sehr
reflektierend und selbstempathisch danach trachtet, sehr schwierig
den Ursprung seiner Gefühle zu orten.
Nach Finke ist
es nicht weiter problematisch, wenn der Therapeut seine
Persönlichkeitsproblematik in das therapeutische Geschehen mit
einfließen lässt, so lange er offen für eine ehrliche
Auseinandersetzung sein kann. In einem Beispiel führt Finke die
kongruente Äußerung von Ärger dem Klienten gegenüber (wegen einer
Terminabsage), auf einen verborgenen Trotz zurück, der wieder auf
die Beziehungsstruktur zur Mutter des Klienten hinführt.
Die zweite
wichtige therapeutische Grundhaltung und Bedingung für eine
konstruktive Veränderung des Klienten im therapeutischen Prozess
bezeichnet C. Rogers als Akzeptieren, „Anerkennung, Anteilnahme
oder Wertschätzung, bzw. Achtung – eine bedingungslose und
positive Zuwendung“.
Rogers
vertritt dabei die Auffassung, „dass die helfende Person um so
effizienter sein wird, je höher sie die andere schätzt. Für mich
heißt das, die andere Person achten, ihre Meinungen, ihre Gefühle,
ihre Person. Es bedeutet eine nicht-besitzergreifende Anteilnahme.
Es bedeutet ein Akzeptieren des anderen Individuums als
eigenständige Person, eine Hochachtung vor ihm, dem Wert aus
eigenem Recht zukommt. Was wir damit sagen wollen, ist, dass die
helfende Person diesen anderen als einen unvollkommenen Menschen
mit Gefühlen und vielen Möglichkeiten wertschätzt. Und ich glaube,
je mehr man seine Wertschätzung, seine anteilnehmende Einstellung
lebt, um so mehr ist das der Ausdruck einer eigentlichen,
tragfähigen Zuversicht und eines Vertrauens in die Fähigkeit des
Menschen“.
Interessant
ist die Definition von Finke, wenn er in der Wertschätzung „eine
Bereitschaft zur engagierten Anteilnahme, einer Bejahung, und
einem sich sorgenden Interesse am Schicksal des Patienten“
sieht. Zudem soll dem Klienten diese Wertschätzung zum Ausdruck
gebracht werden bzw. übermittelt werden. Lietaer (1988)
unterscheidet in der Beschreibung dieser Grundhaltung in:
„Positive Gesinnung“, „Nicht-Direktivität“ und
„Bedingungslosigkeit“.
Primäres Ziel
des bedingungslosen Akzeptierens ist das vertrauensstiftende
Element und die daraus resultierende Möglichkeit des Klienten sich
selbst weiter zu erkunden und in seiner inneren Beurteilung und
Bewertung den Boden für Veränderung zu geben.
Durch das
Akzeptieren positiver wie auch negativer, destruktiver Gefühle und
Äußerungen des Klienten bekommt er einen neuen Zugang zu seinem
inneren Erleben.
Der Klient
soll am Tun und am Sein des Therapeuten spüren können, dass die
Möglichkeit auch zu sich akzeptierend zu sein, angeregt wird. Der
Therapeut wird Modell für den Klienten, für eine offene und nicht
verurteilende Haltung sich selbst und der Umwelt gegenüber.
Auch wenn der
Therapeut nicht anders kann, als vage Theorien über den Klienten
und sein Gewordensein, im Hintergrund zu haben, so soll doch die
Leichtgläubigkeit des Therapeuten klar im Vordergrund sein. Finke
betont, dass die Leichtgläubigkeit und Unbefangenheit ein Prinzip
in der Therapie sein soll, das nicht primär auf ein
Erkennenwollen des Klienten zielt, sondern vielmehr als Appell an
die positiven Möglichkeiten des Klienten ausgerichtet ist. In
diesem Zusammenhang möchte ich auf K. Jaspers verweisen, der das
„erhellende Verstehen“ dem „entlarvenden Verstehen“ gegenübersetzt
und in der bejahenden Grundhaltung das substanziell Seiende
wachsen lässt. Interessant scheint die Frage, wie weit sich diese
Begriffe ausschließen oder wie weit sich diese unterschiedlichen
Zugänge zum Menschen ergänzen können oder müssen.
Das Wesen
einer therapeutischen Beziehung ruht in der ehrlichen Bereitschaft
den Klienten zu akzeptieren. Ohne diese Grundvoraussetzung ist
psychotherapeutisches Arbeiten nicht möglich. Diese fundamentale
Bejahung des Gegenübers ist der Boden, aus dem sich eine
therapeutische Beziehung konstituieren kann. Auch das Erarbeiten
der Bereitschaft des Klienten an dem Prozess aktiv Anteil nehmen
zu können oder zu wollen, wird nur im Akzeptieren des Gegenübers
möglich und stellt zugleich einen wesentlichen Anteil des
psychotherapeutischen Prozesses dar.
Finke
beschreibt sein praktisches Arbeiten als sehr behutsame und
geduldige Form, in der z.B. das andauernde sich wiederholende
Klagen über somatische Schmerzen einer Klientin immer wieder vom
Therapeuten mitgetragen wird.
Dahinter steht
die Überzeugung, dass diese Wiederholungen nicht als Widerstand zu
deuten sind, sondern im Gefühl des Verstehens für den Klienten
eine Chance entsteht, die Schutzfunktion des Verhaltens zu
erkennen und zu thematisieren.
In vier
Punkten hat Finke Gesprächsregeln zusammengefasst, in denen die
praktische Umsetzung des bedingungslosen Akzeptierens gezeigt
wird.
-
Zeigen Sie dem Patienten Ihr Interesse an seinem
Schicksal und an seiner Person, indem Sie ihm aufmerksam
zuhören.
-
Formulieren Sie Ihre Interventionen, auch
konfrontierende, immer so, dass darin Wertschätzung und Respekt
zum Ausdruck kommen.
-
Bekunden Sie u. U. Ihre Sorge und Ihre
Anteilnahme.
-
Versuchen Sie zunächst, die Sicht und die
Beurteilung des Patienten anzunehmen. Verbünden Sie sich mit
seinem Heilungswillen.
Biermann-Ratjen bieten im Fall, dass „Unbedingte Wertschätzung“
nicht mehr möglich ist, zwei Erklärungsversuche an. Entweder der
Therapeut hat sich mit dem Klienten identifiziert oder der Klient
spricht den Therapeuten auf Erfahrungsbereiche an, in denen der
Therapeut selbst inkongruent ist. Zudem betonen die Autoren die
enge Verflechtung von „Unbedingter Wertschätzung“ und „Empathie“.
Der Therapeut muss sich in den Bezugsrahmen des Klienten
einfühlen, damit er den Klienten wirklich verstehen kann. Daraus
ergibt sich der Schluss, dass Akzeptieren ohne wirkliches
Verständnis (und umgekehrt) nicht wirklich möglich ist.
Rogers
beschreibt den Begriff Empathie als Bemühen „den inneren
Bezugsrahmen des anderen möglichst exakt wahrzunehmen, mit all
seinen emotionalen Komponenten und Bedeutungen, gerade so als ob
man die andere Person wäre ...“
Rogers hat die
angeführte Formulierung mit der Auffassung von Empathie als
Prozess, sowie durch die Ausrichtung auf das, was dem Klienten
gerade noch nicht gewahr ist, in späteren Arbeiten erweitert.
Im Terminus
„Einfühlendes Verstehen“ zeigen sich zwei wesentliche Aspekte
dieses Therapieprinzips:
Empathisches
Sich-Einlassen weißt auf einen emotional-intuitiven Vorgang hin.
Der Therapeut versucht in die Welt des Klienten einzutauchen und
den Gefühlen und Empfindungen des Gegenübers in der jeweiligen
Bedeutung nahe zu kommen. Aus der Formulierung dieser emotionalen
Inhalte entsteht gleichsam ein „Abdruck“ des Klienten, der
zugleich Angebot und Möglichkeit der „Selbsterfahrung“ für den
Klienten wird. Aus dem akzeptierenden und einfühlenden Mitvollzug
des Therapeuten bietet sich dem Klienten ein erweitertes
Verständnis seiner Person.
W. Dilthey
(1958) bezeichnet das Einfühlen in den anderen als kreativen
Nachvollzug fremden Erlebens, der auch den Erlebenshorizont des
Therapeuten erweitert.
Rogers betont
den „Als-ob-Charakter“ der Empathie (siehe Zitat), der als Schutz
vor einer Identifikation mit dem Klienten dienen soll. M. Scheler
(1923) hat die Begriffe „Einfühlen“ und „Einsfühlen“ für diese
Differenzierung verwendet.
Im Einsfühlen
kommt es zu einer emotionalen Verschmelzung zwischen Therapeut und
Klient, wogegen das Einfühlen ein Akt des Nachempfindens mit
gewisser emotionaler Distanz ist, bei dem das Getrenntseins vom
Gegenüber dem Therapeuten bewusst ist.
Finke stellt
in diesem Zusammenhang die Überlegung an, ob ein Einsfühlen für
bestimmte Momente nicht wichtig sein kann, da durch diese
Identifikation auch ein tieferes Erfassen der inneren Welt des
Klienten möglich wird.
Das Verstehen
verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Bedeutungen. So kann im
Verstehen die Bedeutung des Akzeptierens („Ja, ich kann das
nachvollziehen und ich verstehe dich.“) im Vordergrund sein.
Andererseits kann aber auch der Zusammenhang des Ganzen in diesem
Verstehen angesprochen werden. („Ich sehe den Sinn deines
Verhaltens. Ich erahne den Zusammenhang.“) In diesem Verständnis
wird hinter den Gefühlen und Verhaltensweisen ein
zugrundeliegender Sinnzusammenhang erahnt, der letztlich dem
spezifischen Ausdruck des Klienten eine Bedeutung gibt. In diesem
Verständnis ist ein mitfühlendes Anschauen des Erlebens des
Klienten ein Teilausschnitt von Empathie, erst das Erfassen und
Verstehen des Sinnes vervollständigt den empathischen Prozess.
Das
prozesshafte Geschehen ist ein weiterer und wichtiger Aspekt von
Empathie. Das Verstehen passiert in vielen kleinen
Einzelschritten. Jedes Durchschauenwollen und Aufdecken des
Klienten ist massiv verängstigend und destruktiv. Das Erfassen von
Bedeutungszusammenhängen erfolgt nicht in einer einzigen oder
einigen Interventionen, sondern benötigt den Prozess des sich
Annäherns, Miterlebens und Verdeutlichens.
Biemann-Tatjen,
Eckert und Schwartz (1995) verstehen unter Empathie den Versuch
das Erleben des Klienten so genau wahrzunehmen, wie wenn es das
eigene Erleben wäre. Empathisch-einfühlendes Verstehen bedeutet
„die persönliche Wahrnehmungswelt eines anderen zu betreten und
völlig in ihr zu Hause zu sein.“
W. Keil übernimmt das Konzept des hermeneutischen
Verstehens von Lorenzer (1970) und überträgt es auf die
Klientenzentrierte Therapie. Die unbewussten und abgewehrten
Interaktionsformen vom Klienten werden in inszenierten
Beziehungsmustern dargestellt.
Der Therapeut soll sich wirklich auf das
Beziehungsangebot des Klienten einlassen, damit er die erlebten
Szenen hermeneutisch zum einfühlenden Verstehen des Klienten
verwenden kann. Wesentlich dabei ist, dass das Sich-Einlassen des
Therapeuten nicht Selbstzweck im Sinne von Feedback oder
Selbsteinbringung dem Klienten gegenüber verwendet wird. Das
Verstehen der Szenen des Klienten, das in der hermeneutisch
orientierten Reflexion seiner Reaktion erfahrbar wird, dient dem
Verstehen und Akzeptieren von Inkongruenzen.
„Du bist für
den anderen in seiner inneren Welt ein vertrauensvoller Gefährte.
Indem du die Gefühlsbedeutungen in dem Strom seines Erlebens
aufzeigst, hilfst du dem anderen, diese wertvolle Beziehung zum
inneren Erleben aufzunehmen, die Gefühlsbedeutungen
erlebnismäßiger zu erfahren und im Erleben weiterzukommen.“
Der Klient
wird mit der Hilfe des empathischen Begleitens in bedingungslos
akzeptierender Form zur Selbstexploration motiviert. Aus dieser
Selbstexploration entsteht mit dem Modell des therapeutischen
Agierens ein selbstempathischer Prozess, der zu einer Veränderung
des Selbst führt.
Finke hebt
ebenfalls die Motivation des Klienten für eine Auseinandersetzung
mit sich selbst heraus, wobei er den Klienten anregt an der
Erkundung von Bedeutungszusammenhängen aktiv mitzuarbeiten. Finke
plädiert dafür sehr sorgsam mit Äußerungen des Klienten umzugehen.
Der Therapeut soll sein Verständnis von Klientenäußerungen in
„fließender Form“ d.h. dem Klienten vom Sinnzusammenhang
nachvollziehbar anbieten.
W. Keil
erweitert den Anspruch C. Rogers, den Klienten in 1:1 Relation zu
verstehen, mit dem Begriff der hermeneutischen Empathie. Damit
meint er den Versuch „in der Begegnung mit etwas >Unvollständigem<
oder >Verfälschtem< das jeweils >Ganze< oder >Unverfälschte<
aufzufinden oder wiederherzustellen.
Die konkrete
hermeneutische Vorgehensweise geschieht dabei in der Form des
sogenannten hermeneutischen Zirkels. Es wird einerseits immer
wieder von den Teilen auf das (noch fehlende) Ganze, aber
andererseits auch immer wieder vom (noch nicht gegebenen) Ganzen
auf die Teile (bzw. deren Hineinpassen und Einordnung in das
Ganze) geschlossen. Dieser Vorgang wird solange wiederholt, bis
eben aus dem bisher Unvollständigen ein Ganzes entsteht, das
logisch konsistent und emotional evident erfahren werden kann.“
Die
Vorbedingung für die hermeneutische Dimension im therapeutischen
Verstehen ist, dass Psychotherapie überhaupt als Arbeit mit
tiefenpsychologischen Phänomenen, d.h. mit dem inkongruenten
Erleben und dessen Bedeutung verstanden wird. W. Keil verweist
darauf, dass vor allem Reaktionen, in denen es dem Therapeuten
nicht möglich ist den Klienten zu akzeptieren und zu verstehen auf
inkongruente Anteile des Klienten verweisen. Der Prozess des
voranschreitenden Verstehens vom Therapeuten bedingt das
Selbstverstehen des Klienten.
Nach Gendlins
Empathieverständnis, der nicht die Grundhaltungen des Therapeuten,
sondern den Focusingprozess des Klienten für das Agens der
Therapie hält, erweitert sich das empathische Eingehen auf den
Klienten im Besonderen auf das Wiederherstellen des impliziten
Experiencingprozesses des Klienten. Dazu muss die empathische
Reaktion des Therapeuten über den erstarrten Selbstprozess des
Klienten herausragen.
Auch wenn
Rogers keine Handlungsanweisungen für die Arbeit gegeben hat, ist
das „Empathisch sein“ seiner Ansicht nach eine subtile und
fordernde Art mit dem anderen umzugehen.
Für Tausch hat
im Besonderen die „Selbstexploration“ des Therapeuten einen hohen
Stellenwert. Damit meint er die Offenheit des Psychotherapeuten
für die Wahrnehmungen der eigenen Gefühle und Empfindungen in der
Beziehung zum Klienten in der aktuellen Situation.
Wenn der
Therapeut dem Klienten subjektive Gefühlseinstellungen und
Vermutungen in geeigneter Form mitteilt, fühlt sich der Klient
ernst genommen, er fühlt sich weniger bedroht, weil er die
Äußerungen des Therapeuten als dessen subjektive Wahrnehmung
erkennen kann. Der Klient wird von der Vorbildwirkung des
Therapeuten in seiner eigenen Selbstexploration angeregt und aus
einer wachsenden inneren Sicherheit zu mehr Kommunikation
ermutigt.
Biermann-Ratjen arbeiten mit den Bewertungen, die der Klient den
erlebten Gefühlen beimisst. Neben dem Erfassen des emotionalen
Inhaltes wird die Intervention um die Wahrnehmung des Therapeuten
erweitert. So wird etwa die Intervention „Sie spüren die Angst
aufsteigen“ um den Satz „und das ist ihnen peinlich“ (innerer
Bezugsrahmen) erweitert.
W. Keil weist
auf die Bedeutung der Therapeutenreaktionen hin, die als
Gradmesser für den therapeutischen Prozess zu sehen sind.
Vorraussetzung ist der korrekte Umgang mit der Grundhaltung der
unbedingten Wertschätzung, die als Kontrollbedingung für das
empathische Verstehen gesehen werden kann.
Wenn der
Klient bestimmte Gefühle oder Werthaltungen erkennen lässt, die im
Therapeuten Gefühle auslösen, z.B. Angst oder Ablehnung, kann
dieser seine unbedingte Wertschätzung nicht aufrecht erhalten. Die
Möglichkeiten auf den Klienten einzugehen werden deutlich
eingeengt. Der Therapeut kann an seiner vorhandenen oder auch
fehlenden Wertschätzung den Grad seines empathischen Verstehens
überprüfen. Wenn ein hohes Maß an Wertschätzung und damit an
Empathie kontinuierlich erlebt wird, hat die Therapie erfolgreich
ihr Ziel erreicht und kann beendet werden.
Finke meint,
damit der Therapeut den Bezugsrahmen des Klienten erfassen kann,
muss er sich an den intuitiv erschauten und gefühlten
Bezugspunkten orientieren. Finke plädiert auf einen möglichst
differenzierten Umgang mit dem Begriff der Empathie, da ansonsten
unterschiedliche Ebenen des Verstehens verwischt würden. Als
Beitrag zu einer differenzierten Sichtweise unterscheidet Finke
fünf Stufen des Verstehens.
-
Einfühlendes Wiederholen:
Der Therapeut
versucht mit eigenen Worten den Aussage-Sinn des Klienten
wiederzugeben. Verbal nicht Ausgedrücktes und doch Gemeintes
arbeitet der Therapeut mit dem Klienten heraus. In dieser formalen
Verdeutlichung können auch relativ bewusstseinsnahe
Bedeutungsaspekte angesprochen werden. In den angebotenen
Formulierungen des Therapeuten wird ein Korrektur- oder
Bestätigungsprozess beim Klienten wachgerufen, der ihn dazu drängt
dem Anliegen eine Deutung zu geben, die möglicherweise näher am
Erlebten ist. Das Bemühen des Therapeuten die innere Welt des
Klienten zu verstehen, wirkt entängstigend und motiviert zu einer
weiteren Selbsterkundung.
-
Konkretisierendes Verstehen
Auf dieser
Stufe geht es um das Erfassen eines Sinnzusammenhanges zwischen
dem Erleben des Patienten und einer konkreten Situation.
Allgemeine Gefühle sollen in ihrer spezifischen Situation
konkretisiert werden. Es kann dem Klienten helfen in einer
Situation auftauchende Gefühle möglichst detailliert zu
vergegenwärtigen. Außerdem spielt in dieser Interventionsform der
Kontext der Situation eine wichtige Rolle, weil aus dem Kontext
bestimmte Gefühle verständlicher werden können.
-
Selbstkonzeptbezogenes Verstehen
Um den
Klienten aus seinem Bezugssystem heraus verstehen zu können, kann
das Selbstkonzept herangezogen werden, da darin alle Meinungen und
Bewertungen des Einzelnen manifestiert sind. Der Therapeut
versucht den Klienten aus seinem Selbstkonzept heraus zu verstehen
und stellt einen Zusammenhang zwischen den Verhaltens- und
Erlebnisweisen des Klienten einerseits und den Bewertungen, den
gefühlsmäßigen, inneren Stellungnahmen des Klienten zu seinem
Handeln andererseits her.
-
Organismusbezogenes Verstehen
Aufgabe des
Organismusbezogenen Verstehens ist es, basale, aber oft verdeckte
Bedürfnisse des Klienten zu erspüren und diesem so wieder den
Zugang zu seinem ursprünglichen Erleben zu öffnen. Das
ganzheitlich organismische Erleben ist beim Klienten mehr oder
weniger verschüttet. Im organismusbezogenen Verstehen ist die
Blickrichtung des Therapeuten zum ursprünglich-ganzheitlichen
Erleben gerichtet. Empathisch versucht der Therapeut einen Teil
dieser Erlebnisfähigkeit zu übernehmen und zu erahnen, welche
Gefühle, Wünsche oder Bedürfnisse dem berichteten Erleben
vorausgingen. Dies ist deswegen wichtig, damit sich der Klient in
der befindlichen Situation annähern kann. In einem Beispiel
begleitet der Therapeut eine Klientin von der wahrgenommenen
Unruhe zum Wunsch nach Geborgenheit und Anerkennung, den sie an
ihren Mann hat. Wut und Verachtung sich selbst und ihrem Mann
gegenüber kann sich die Klientin nicht eingestehen. Im Nachdenken,
welche Erwartungen die Klientin an ihren Mann früher gehabt hat,
versucht der Therapeut eine Hilfe zu geben, dass sie sich der
befindlichen Situation ein Stück annähern kann. Im Erkennen, so
dass sie sich ihrem Mann nie nahe gefühlt hat und seine
Resignation in der Beziehung verachtet hat, öffnen sich Zugänge zu
ihrem organismischen Erleben.
-
Interpretieren
Im strengen
Sinn enthalten viele vorhin beschriebene Interventionen Anteile
von Interpretationen. In dieser Stufe gehen die Interpretationen
ein Stück weit aus dem Hier und Jetzt heraus und versuchen
Beziehungsmuster und Entscheidungen aus früherer Zeit (dosiert)
intellektualisierend zu betrachten. Dafür sollte die Beziehung
zwischen Klient und Therapeut so weit verfestigt sein, dass der
Klient der Interpretation vertrauen kann. Weiters soll der
Therapeut seine Interpretation als Hypothese verstehen, die er
auch jederzeit zu korrigieren bereit ist, und schließlich sollte
der Klient die thematisierten Inhalte in einen
Bedeutungszusammenhang bringen können.
Die
Grundhaltungen von Echtheit oder Kongruenz, empathischem Verstehen
und bedingungsloser Wertschätzung werden als gelebte Form der
Beziehung mit Menschen wesentliche Wirkfaktoren für therapeutische
Veränderung. Auch wenn Rogers die Empathie als herausragendes
Charakteristikum für die Therapie ansieht und der Kongruenz für
das In-Gang-Kommen eines therapeutischen Prozesses primäre
Bedeutung beimisst, so ist unbedingt zu beachten, dass die
Grundhaltungen in ihrem funktionellen Zusammenhang als ein
einheitliches Ganzes verstanden werden müssen.
Biermann-Ratjen schlagen vor von einer Grundhaltung („way of being
with“) zu sprechen, da die traditionelle Dreiteilung die Gefahr
des Missverständnisses birgt, die Grundhaltungen als
„Basisvariablen“ bzw. als getrennte konkrete Verhaltensweisen zu
interpretieren.
In Anlehnung
an Minsel (1974) hat J. Finke Regeln für das Formulieren von
therapeutischen Interventionen angeführt. Sie dienen dazu, den
Inhalt der Intervention wirksam zu vermitteln. Diese Regeln sind
als Angebot und Hilfe gedacht und decken auch nur einen sehr
allgemeinen Teil der therapeutischen Beziehung ab.
Natürlich
steht der Anspruch der Kongruenz und die behutsame Suche nach
persönlich stimmigem Zugang zum Klienten an zentraler Stelle.
-
Der Therapeut soll häufig in das Gespräch
eingreifen, damit eine Atmosphäre der kontinuierlichen
Auseinandersetzung entsteht.
-
Die Antwort des Therapeuten soll kurz und
zielgerichtet sein, damit der Klient in seiner Aufmerksamkeit
nicht abgelenkt wird.
-
Der Gefühlszustand des Klienten soll am Schluss
der Intervention stehen, um ihn für den Klienten herauszuheben.
-
In den Interventionen sollen keine Fremdwörter
oder Fachtermini benutzt werden. Damit die Sprache möglichst
erlebnisaktivierend wird, sollen bildhafte, plastische und
erlebnisnahe Ausdrücke verwendet werden.
-
Wenn Ambivalenzen vom Klienten formuliert werden,
soll zunächst nur eine Seite der Ambivalenz angesprochen werden
(später kann die andere Seite folgen). Eine andere Möglichkeit
besteht darin, die Wirkung der Ambivalenz direkt anzusprechen.
-
Wenn der Klient sehr allgemein ist, soll der
Therapeut konkreter und spezifischer formulieren. Wenn der
Klient sehr konkret und detailreich berichtet, soll der
Therapeut verallgemeinernd und strukturierend reagieren, weil in
der je spezifischen Form des Redens Grundproblematiken anklingen
können.