Nachdem ich
die Anthropologie von C. Rogers aus unterschiedlichen Richtungen
beleuchtet habe, möchte ich auf seine Persönlichkeitstheorie
eingehen.
Eine der
tiefsten Überzeugungen in C. Rogers’ Bild vom Menschen ist der
Glaube, dass die menschliche Natur von ihrem Wesen her
vertrauenswürdig, konstruktiv, schöpferisch, sozial und auf Reife
hin ausgerichtet ist. Aus dieser Überzeugung kreiert er für sein
Persönlichkeitskonzept den Begriff Aktualisierungstendenz, der
„die dem Organismus innewohnende Tendenz zur Entwicklung all
seiner Möglichkeiten“aufweist.
Im Bild des
Kleinkindes, das doch das Gehen erlernt, auch wenn es mit Krabbeln
das Ziel schneller erreichen würde, zeigt sich diese von Natur aus
wirkende Kraft, die Widerstände und Schmerzen überwindet und sich
doch durchsetzt.
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A. Suters Verständnis der
Aktualisierungstendenz
A. Suter sieht
durch die Aktualisierungstendenz verschiedene Implikationen für
die Klientenzentrierte Psychotherapie.
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Sofern der Organismus frei ist, jede Richtung für
seine Existenz zu wählen, so entscheidet er sich für die
konstruktive. Das bedeutet, die Aktualisierungstendenz ist
selektiv.
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Ob der Organismus frei ist, wird entscheidend von
seiner Umwelt bewirkt. Sind die maßgeblichen Umweltfaktoren
weitgehend frei von Zwängen aller Art, ist die Aktualisierung
des positiven menschlichen Kerns möglich. „Nur wo solche
äussere(sic!) Freiheit gewährt ist, korrespondiert ihr eine
innere, die Aktualisierung ermöglichende Freiheit.“
Den entscheidenden Faktor für die Erreichung äußerer Freiheit
bilden die zwischenmenschlichen Beziehungen. Für C. Rogers
gehört die Freiheit elementar zum Menschsein: „Es ist diese
innere, subjektive, existentielle Freiheit, die ich beobachtet
habe. Es ist die Einsicht, dass ich mich selbst leben kann, hier
und jetzt, in eigener Entscheidung’“
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Existenz im Sinne der Selbstaktualisierung ist
ein ständiger Prozess.
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Dieser Prozess ist zwar für jeden individuell
verschieden, weist aber bei allen Menschen gemeinsame Züge auf.
Als
grundlegende Antriebskraft und Gestaltungskraft der Menschwerdung
im Sinne qualitativer Transzendierung des jeweiligen Status Quo,
darf die Aktualisierungstendenz nicht als
individualistisch-egoistische Kraft missverstanden werden, da die
Entfaltung des Einzelnen, wenn der Mensch als soziales Wesen
verstanden wird, sehr eng mit der Entfaltung der Gemeinschaft
verbunden ist.
Hier wird der
relationale Personbegriff von Rogers wichtig, da die
Aktualisierungstendenz von den physischen und psychischen
Umgebungsbedingungen geleitet wird. Wie weit die Aktualisierung
der Entwicklung gefördert oder blockiert wird, hängt von den
äußeren Bedingungen ab.
Rogers
bezeichnet den Glauben an die Aktualisierungstendenz als
„grundlegende operationale Philosophie“, die nicht bloßes Konzept
sein darf, sondern letztlich eine Verwirklichung in der
Lebensweise einfordert.
Rogers ist in
seinem Zugang zur Aktualisierungstendenz vom Vitalismus stark
beeinflusst und damit der Denkfigur der Entelechie verbunden.
Dieses Denken geht von einer gerichteten Größe, (einem Vektor) die
keine Zweiteilung >erhalten und entfalten< zulässt, aus.
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D. Höger und Aktualisierungstendenz
D. Höger hat
Rogers’ Verständnis der Aktualisierungstendenz kritisch
hinterleuchtet und benennt zwei wichtige Aspekte, die zu beachten
sind, um Missverständnisse um den Begriff zu vermeiden.Der Begriff
>Aktualisierungstendenz< ist „explizit und konsequent als
übergeordnetes, zusammenfassendes Prinzip menschlicher Motivation
und Verhaltensorganisation zu definieren und die beiden Aspekte
der Entfaltung und der Erhaltung sind begrifflich strikt zu
trennen“, damit man sie in ihrer Unterschiedlichkeit betont, „um
der Komplexität dieses Begriffs und Abhängigkeit des Organismus
von den Umweltbedingungen gerecht zu werden“
Da der Mensch
sein eigens Ich reflektieren kann, bildet sich eine Vorstellung
vom Ich. Aus den Erfahrungen mit sich selbst bildet sich das Bild
vom eigenen Sein, das in der Theorie von Rogers als „das Selbst“
benannt wird. Aus der Ganzheit der Erfahrungen des Ich und den
Wahrnehmungen des Ich zu seiner Umwelt und der damit verbundenen
Bewertungen entsteht das Selbst. Es kann bewusst oder unbewusst
sein, dient aber jedenfalls als konstanter Bezugspunkt für eine
Person. Dieser Bezugspunkt ist aber nichts Fixiertes. In
prozesshafter Form verändert und entwickelt sich das Selbst durch
das Integrieren der Erfahrungen und deren Bedeutung.
Das
Selbstkonzept bildet sich aus den Wertungen der Eigenschaften und
Fähigkeiten, die sich die betreffende Person selbst zuschreibt.
Mit dem Begriff Selbstaktualisierungstendenz wird die Dynamik
beschrieben, die dazu dient das Selbst zu erhalten und zu
verbessern. Es wird als relativ eigenständiges Subsystem der
Aktualisierungstendenz gesehen.
Mit dem
Begriff „fully functioning person“ hat Rogers ein abstrahiertes
Ideal einer Persönlichkeit benannt, die es schafft, ständig neue
Erfahrungen exakt symbolisiert in sein Selbst aufzunehmen.
Symbolisieren
bedeutet Erfahrungen und deren Bedeutung bewusst werden zu lassen.
Diese Symbolisierungen können sich verbal oder auf körperlicher
Ebene ausdrücken.
Je mehr ein
Mensch neue Erfahrungen zulassen und in sein Selbst integrieren
kann, desto kongruenter ist die Person (echt, authentisch). Wenn
organismische Erfahrungen und das Selbst weitgehend korrelieren,
ist die Person flexibel und stabil, anpassungsfähig und fähig,
nach außen Widerstand zu leisten. Die Person fühlt sich nicht
bedroht und ist offen für Neues.
Wenn
organismische Erfahrungen nicht symbolisiert werden können und
nicht in das Selbst integriert werden können, muss die Person
diese Erfahrungen abwehren, da das Selbst bedroht ist. Die Person
versucht die Bedeutung einer Erfahrung so abzuändern, dass sie
möglichst mit dem Selbst übereinstimmt.
Je nach
Intensität der Erfahrung kann die Person die Erfahrung verzerren,
verleugnen oder verneinen. In dieser Inkongruenz, dem Widerspruch
von Selbst und Erfahrung, bleibt eine ständige Spannung gegeben.
Die Person will ein Selbst aktualisieren („ich bin sehr
bescheiden“), das mit der Erfahrung (Neid) nicht übereinstimmt.
Der Ausweg liegt in der Abwehr des Neides, die sich möglicherweise
in einem Überlegenheitsgefühl äußert.
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Bedürfnis nach bedingungsloser positiver
Beachtung
Der Mensch hat das grundlegende Bedürfnis, im
eigenen Erleben gesehen, beachtet und verstanden zu werden. Für
Rogers bedeutet positive Beachtung eine Person zu schätzen,
ungeachtet der verschiedenen Bewertungen, die man selbst ihren
Verhaltensweisen gegenüber hat.
Nach Biermann-Ratjen können Erfahrungen und deren
Bewertung nur Selbsterfahrungen werden, wenn das Kind wahrnehmen
kann, dass es in diesen Erfahrungen und den Bewertungen empathisch
verstanden und ohne Bedingungen wertgeschätzt wird.