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Jost Steiner

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2.2. Persönliche Beziehungserfahrungen


Wie in der Vorbemerkung erwähnt, möchte ich zuerst meine ganz persönlichen Beziehungs-erfahrungen schildern und diese im nächsten Abschnitt der klientenzentrierten Theorie, Literatur gegenüberstellen, die natürlich schon in gewissem Ausmaß in meine persönlichen Erfahrungen integriert ist.

Ich würde dabei gern von einer persönlichen, möglichst exakten Definition von Beziehung ausgehen, denn es ist mir immer ein Bedürfnis, genau zu wissen, womit ich mich beschäftige.
Vorderhand nehme ich aber das Fehlen zur Kenntnis und wende mich im Sinn des ersten Absatzes gleich einer persönlichen Erfahrung zu: Beim ÖGwG-Encounter 2001 wurde an eine Teilnehmerin die Frage gestellt: Was trägt Dich? Ich erinnere mich nicht mehr, ob sie in der großen Gruppe sozusagen öffentlich beantwortet worden ist, aber ich erinnere mich an meine Antwort für mich (in - wenn ich mich recht erinnere - einem kleineren Kreis): Was mich trägt, ist Beziehung, und Beziehung als das, was mich trägt, ist zwar keine Definition, aber ich kann es noch heute - wohltuend - empfinden; das ist Teil meines Selbstkonzepts.

Es drängen sich mir aber sofort weiter Fragen auf: Was trägt dich denn da, und wie gut kannst du dich dem anvertrauen?

Dazu gehört, dass ich von einer Person, die ich selbst wahrnehme, wahrgenommen werde und dass ich das selbst bemerke. Ohne wahrgenommen zu werden, bin ich ein (Beziehung) Suchender, aber nicht in Beziehung. Damit bin ich unvermutet schnell bei einer Definition:
Beziehung ist für mich wechselseitige Wahrnehmung von Personen einschließlich der Wahrnehmung, dass die eine Person von der anderen wahrgenommen wird.

Allerdings empfinde ich eine solche Beziehung noch nicht als tragend. Dazu muss ich mich wohlwollend wahrgenommen empfinden und selbst dem mich so Wahrnehmenden meine Wertschätzung entgegenbringen.

Dieser „schöne“ Zustand ist aber nicht stabil. Neue Wahrnehmungen von innen und außen verändern ihn, setzen einen Beziehungs-Prozess in Gang, der nach meiner Erfahrung in zwei Richtungen gehen kann, die einander in ein und derselben Beziehung (wiederholt) ablösen können: Einerseits kann es ein lebendiger Prozess werden, und zwar dann, wenn die eben erwähnten neuen Wahrnehmungen und vor allem die damit verbundenen Emotionen in die Beziehung einfließen. Egal ob Liebe (sexuell oder platonisch), Hass, Verehrung, Verachtung, Freude, Ekel oder welche emotionale Dimension immer (vgl. Zimbardo 1992, S.380ff) - die Beziehung erhält damit Leben (im doppelten Wortsinn). Sie muss dabei nicht immer so schön tragend bleiben, kann schmerzhaft, ärgerlich, beglückend sein - eben lebendig. Das Tragende ist somit nur ein Aspekt einer lebendigen Beziehung.

Basis einer solchen Beziehung ist für mich ein erlebtes Vertrauen in den Beziehungsprozess, d.h. eigentlich in die in Beziehung befindlichen Personen, bs. mich selbst. Das erfahre ich in den letzten Jahren immer häufiger, und für mich wahrgenommenes Wohlwollen hilft mir dabei sehr. Je mehr ich es verspüre, desto mehr kann ich mich von Beziehung nicht nur tragen lassen, sondern fühle mich auch selbst tragend, stark (ganz unabhängig vom Aspekt des Tragens), offen für viele Emotionen.

Diese Offenheit wird auch ganz wesentlich gespeist von meiner jeweils aktuellen Selbst-sicherheit - an „guten“ Tagen kann ich sehr offen, selbst der „Geburtshelfer“ einer emotional belebten Beziehung sein. An „schlechten“ Tagen tendiere ich zu Verschlossenheit, Auswei-chen, Fassadenhaftigkeit - die Kommunikation besteht dann vor allem in Rationalisierung, und zwar oft von im ersten Moment (auch für mich) gar nicht als solchen erkennbaren Nebensächlichkeiten, oder sie wird mitunter einfach (weitgehend) vermieden.

Selbstsicherheit/gutes Selbstwertgefühl, Offenheit und das Erleben, wohlwollend wahr-genommen zu werden, stehen dabei wie in kommunizierenden Gefäßen: steigt eines, steigen die anderen mit und umgekehrt, jeweils mit gewisser Verzögerung und natürlich auch Ab-weichungen. Dabei steigt die Offenheit nicht nur von innen nach außen - ich kann mehr von mir zeigen -, sondern auch von außen nach innen, dh. dass ich mehr wahrnehme und dass ich Wahrnehmungen annehme und damit mein Selbstkonzept verändere.

Ich trachte diesen Teil meiner Arbeit möglichst mit meinem persönlichen Vokabular zu bestreiten, in das noch nicht sehr viel Fachjargon eingedrungen ist (Abwehr?), aber hier drängt es mich zu sagen, dass ich mich im Sinne von Rogers (1991, S. 31 und 33) auf dem Weg von der Intensionalität (Rigidität) zur Extensionalität (Offenheit) befinde.

Ich fühle mich heute einfach vermehrt an der Außenwelt interessiert, an zwischen-menschlichen Beziehungen - und das nicht nur zur Bestätigung meiner festgefügten
Konzepte. Mein Interesse ist vielfältiger geworden, reicht über das Bestätigtwerden
(bs. durch schöne Frauen) hinaus, und ich kann in gewissem Ausmaß sogar Rückschläge
und Niederlagen einstecken.

Anderseits - und das erfahre ich als die zweite Möglichkeit - kenne ich noch immer den Verlust des Vertrauens in die Entwicklung einer Beziehung. Ich spüre das als Druck, die Beziehung aktiv zu gestalten, sie und mich in ihr bedeutungsvoll zu halten, etwas daraus zu machen, auch sie und mich in ihr zu sichern, und als einen Druck, das Beziehungsangebot des Anderen im Griff zu haben. Dieser Druck dient gleichzeitig dazu, auftauchende Emotionen, die ich mich in die Beziehung einzubringen scheue, draußen zu halten, aus der Gewahr-werdung zu drängen. Die Beziehung verliert dann ihre Lebendigkeit, wird schal, entspricht nur mehr der Formaldefinition von weiter vorne. Das vermeintliche Fehlen von Emotionen ist in Wirklichkeit ein Hinausdrängen gewisser Gefühle. Ganz einfache Beispiele dafür sind alltägliche Beziehungs(wieder)aufnahmen, bei denen lebendige Gespräche in schales, auch gezwungenes Gerede zerrinnen, weil ich auftauchende Gefühle nicht hineinlasse, ebenso der ganz normale Smalltalk.

Am Übergang von der lebendigen zur schalen Beziehung, hinter dem vordergründig spürbaren Druck aber steht die Angst vor den eigenen Gefühlen und auch vor dem/r Anderen und seinen/ihren Gefühlen. Mit zunehmend erfolgreichem Druck des Hinausdrängens löst sie sich im Schalen weitgehend auf - das ist der Lohn des Schalen. Der Lohn der Angst, ihres Er-tragens aber ist die Verlebendigung von Beziehungen; mit ihr und durch sie kann ich neue Gefühle in die Beziehung lassen, wobei sich zeigt, dass die Angst zwar eine diffuse Angst vor Versagen und Zurückweisung ist, ihr Ertragen aber ganz andere, meist viel schönere Gefühle freisetzt - ohne dass manche Enttäuschung, Ernüchterung verschwiegen sei.

Ganz ähnlich ergeht es mir, wenn ich mich nicht unmittelbar auf eine Beziehung, sondern auf ein Vorhaben, eine Arbeit - vor allem eine neu(artig)e - einlassen will, manchmal - so mein Erleben - auch muss, wie zum Beispiel diese Abschlussarbeit, weshalb ich auch darauf kurz eingehen will. Auch hier bin ich manchmal über meinen neuen Mut geradezu glücklich (und mit den Ergebnissen oft sehr zufrieden) und manchmal mit der Angst vor Versagen unter-wegs. Ich spüre, dass diese Angst vor Versagen mit Beziehung zu tun hat, mit der Angst, wohlwollende Beachtung in wichtigen Beziehungen mit einem Werk nicht zu erringen bzw. zu verlieren, möglicherweise als ganze Person.

Und das trifft nicht nur auf Arbeiten wie die vorliegende zu, die von der Intention her mit einer externen Beurteilung verbunden sind. Solche „individuelle“ Arbeiten, Werke, auch Erlebnisse im Alleinsein zeigen mir die hohe Bedeutung einer lebendigen Beziehung. Ihr Einbringen in eine Beziehung - außer bei einigen grundlegenden Körperfunktionen - erscheint mir zwar nicht als notwendig, immer aber bereichernd: Ein schöner Anblick, Musik, ja auch Essen und Trinken werden überhöht, wenn ich sie in einer guten Beziehung genieße. Und auch hier erlebe ich mitunter die Angst vor dem Misslingen des Einbringens.

Damit kann ich vorderhand zusammenfassen, dass mein Beziehungserleben im Spannungsfeld zwischen Beziehungssehnsucht und Beziehungsangst steht oder - wie im Untertitel - zwischen Wunsch- und Albtraum. Ich will das akzeptieren und so die Angst wohl nicht zu meinem Freund, aber doch zu meinem wertvollen, wenn auch unbequemen Begleiter machen.

Zwischen Wunsch- und Albtraum - etwas pointiert formuliert - sehe ich auch mein Beziehungs(er)leben als Psychotherapeut; ich will mich daher nicht darum herumdrücken, mich damit hier noch auseinanderzusetzen.

Wenn ich von meiner Beziehungsdefinition wechselseitiger Wahrnehmung plus der Wahrnehmung, wahrgenommen zu werden, ausgehe, so kommen in der therapeutischen Beziehung zumindest drei Faktoren dazu:

1. Auf Grund eines Kontraktes habe ich erstens meinen Beitrag zur Beziehung während jeder Therapiesitzung zu erbringen - gleichgültig, wo ich mit meinem inneren Erleben etwa unmittelbar vor der Sitzung bin.
2. Auf Grund meiner Überzeugung habe ich in der Beziehung wertschätzend, empathisch und kongruent zu sein, denn es ist eine hilfreiche, lebendige Beziehung gefordert.
3. Die Beziehung wird im Hinblick auf ein mehr oder weniger klar definiertes gemeinsames Ziel eingegangen.

Punkt 1. erlebe ich nicht als Problem. Spätestens wenn ich den Klienten ins Therapiezimmer bitte, ist mein Interesse bei ihm. Das Begleiten kostet unterschiedlich Mühe, sodass ich manchmal denke, ich sollte zu Beginn strenger prüfen, ob ich eine Therapievereinbarung nicht auch einmal ablehne - übrigens nicht nur im Hinblick auf meine Bereitschaft, sondern auch auf jene des Klienten.

Punkt 2. und 3. spielen ineinander und machen mir mehr Probleme. Dabei erlebe ich die drei Grundbedingungen nicht belastend - im Gegenteil, wenn ich ganz „bei mir bin“, ist meine
Beziehungsvorstellung so ähnlich, dass ich mich frage, ob das original meine Vorstellungen oder jene von Rogers sind.

Ein Warnschild möchte ich dabei allerdings beachten, nämlich: Ist meine Wertschätzung wirklich positiv (vgl. Englisch „positive regard“), oder ist sie „nur“ nicht negativ, dh. verurteile ich den Klienten „nur“ nicht? Das aber ist zu wenig: es bedarf der Aufrecht-erhaltung des Positiven, des Wohlwollens, in einem weiten Sinn der Liebe zum Klienten.
Ich bin froh, dass meine diesbezügliche Sicherheit einer hohen Aufmerksamkeit dafür gewichen ist.

Als eine Gefahr für die lebendige therapeutische Beziehung erlebe ich das Hereinspielen der Therapieziele als Leistungsdruck bis zum Perfektionsanspruch und zur dazugehörenden Versagensangst. Immer wieder merke ich dann, wie ich den Klienten „verlasse“ und in mir auf die Suche nach oft recht versteckten Lösungsvorschlägen für ihn gehe, wofür er mitunter „dankbar“ ist, weil er damit den Schmerzen seiner neuen Erfahrungen entkommt. Sicher treten dann auch meine (positiven) Gefühle für den Klienten in den Hintergrund, wenn meine Angst um mich in den Vordergrund tritt.

Wie ganz allgemein in Beziehungen werden mir solche Rückzüge auch in der Therapie in den letzten Monaten immer öfter gewahr, ermöglichen die „Rückkehr“ zum schwierigen Thema, führen manchmal zu einem Hin und Her. Darin liegt auch der Grund für meine „Hemmung“, störungsspezifisch vorzugehen, da ich befürchte damit die Unmittelbarkeit der Beziehung zu verlieren, sie nicht im Sinne eines wissenden Verstehens aufrechterhalten zu können.

Wie schon erwähnt, werden daher das Auftreten dieser (Beziehungs-)Ängste, mein Umgehen damit, die Auswirkungen auf den Therapieverlauf bei einem Klienten, der selbst starke Beziehungsängste hat, einen Fokus bei der Beschreibung des langen Therapiefalles darstellen.


 

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