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Jost Steiner

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1. Mein Weg zum Psychotherapeuten

(Ich bin auf dem Weg - Am Anfang war Beziehungslosigkeit)

Am Anfang meines Weges zum klientenzentrierten Psychotherapeuten stand tatsächlich das Wort „Beziehungslosigkeit“, und zwar als (Hinter-)Grund für die Ablehnung meines Antrags um Aufnahme in die Ausbildung zum Bioenergetischen Analytiker. Diese Ablehnung traf mich völlig unerwartet. Ich hatte den Antrag mit einer gewissen Leichtigkeit und Unbe-kümmertheit gestellt und mit einem selbstironischen Foto gewürzt; ich kannte ja auch von mehreren Seminaren „wichtige“ Mitglieder der ausbildenden Vereinigung - der DÖK -, war vor allem von dem leider schon verstorbenen Waldefried Pechtl geradezu fasziniert und fühlte mich mit einem Fuß schon „drinnen“. Und nun das! Das Wort Beziehungslosigkeit geisterte in mir und um mich herum - immer versehen mit meinem Kommentar „ja, aber“.

Jedenfalls stürzte ich in der Folge in eine Depression, die mich oft und oft an meiner Fähigkeit weiterzuleben zweifeln ließ, ohne dass ich die Ablehnung als Ursache verspüren konnte. Das kann ich heute noch nicht; ich kann es mir nur rational erklären. In dieser schweren Zeit tauchte die Erinnerung an die Lektüre von Rogers’ „Entwicklung der Persönlichkeit“ und Wolfgang Keils Demonstrationssitzung während des Propädeutikums auf; beide hatten mich sehr beeindruckt, sodass ich ein gewisses Bedauern verspürt hatte, schon an die Bioenergetik „vergeben“ zu sein. Jetzt aber griff ich nach diesem Strohhalm, und wenn mich dieser Griff auch nicht aus der Depression gerettet hat, so hat mich der Strohalm doch auf dem keineswegs immer geraden Weg heraus getreulich begleitet und sehr gestärkt.

Dabei war mir überhaupt nicht klar, dass das bedeutete, Beziehung wie nirgends sonst in den Mittelpunkt zu stellen und mich mit meiner „Ja-aber-Beziehungslosigkeit“ auf ein enorm schweres Unterfangen einzulassen, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben. Trotzdem empfinde ich es schon seit einiger Zeit als Glück, wie immer mein Leben als Ganzes und als Therapeut weitergehen wird. Es war der Beginn des Weges aus dieser Beziehungslosigkeit.

Deren Beginn aber liegt viel weiter zurück - natürlich in der frühen Kindheit.

Es hat sich in meiner Kindheit in Bezug auf Kontakte mit Fremden ein Selbstkonzept entwickelt, das ich heute folgendermaßen sehe: Ich bin extrem verletzlich, gewissermaßen in meiner Existenz gefährdet, insbesondere wenn ich bei Fremden etwas erledigen, erreichen soll; meine Eltern übernehmen solche Kontakte für mich und sie schützen mich damit, helfen mir, was mich erleichtert und von meiner Angst im konkreten Fall befreit.

Aber vor allem meine Mutter tut noch etwas mehr: Wo ich tatsächlich oder vermeintlich Feindliches von der Umwelt erfahre, übernimmt sie es, das als unberechtigt, sehr oft von Neid motiviert zu qualifizieren und meine Verteidigung zu übernehmen, sodass ich selbst mir das ersparen kann, es unter meiner Würde finde, mich selbst zu verteidigen. Meine Angst wird damit nicht geringer ...

Und noch etwas wird mir dazu bewusst: ich habe grundsätzlich die Erwartung, dass mir die menschliche Umwelt negativ gesinnt ist, mir gegenüber neidisch, missgünstig ist, wie meine Mutter sagte. Und daher ist (oder ist das vorher? - ich erlebe es als Konsequenz) meine eigene erste Reaktion auf (sich anbahnende) Begegnung Abwehr - oft in Form von Rückzug.
In der Zurückgezogenheit kräftigt sich dann wieder ein Bild, besonders als eine sowohl von Mutter wie Vater vermittelte Erkenntnis, dass mich alle lieb und großartig finden, ein Bild, das mit einer gewissen Distanz zu den Anderen verbunden ist.

In der Supervision hat sich dieses Bild in allerjüngster Zeit differenziert. Mit der manchmal nur vorgestellten Nähe kommt die Angst auf, meine (imaginierte) Grandiosität zu verlieren; aus der Ferne sehe ich mich geliebt als der liebe, kleine Bub. Dabei habe ich keine Erfahrung, in meiner Grandiosität abgelehnt zu werden, zumal ich es tunlichst vermeide mich darin zu zeigen. Aber ich selbst tue mich schwer, mich ohne Grandiosität anzunehmen und zu glauben, ohne sie angenommen oder mit ihr nicht abgelehnt zu werden. Und dann gibt es mich auch zwischen Grandiosität und Kleinkind in einer alltäglichen, realen, substanziell spürbaren Form, die zuzulassen mir doch - immer häufiger - „passieren“ kann.

Ich habe das alles in der Gegenwart formuliert, weil ich es noch heute immer wieder spüre. Dabei ist, etwa beginnend mit meinem „Eintritt in die Welt der Psychotherapie“, vieles besser, leichter geworden, und zwar umso eher, je weniger bedeutungsvoll mir eine Angelegenheit ist. Wo es um wirklich bedeutsame Begegnung geht, kann die Angst, von meinem imaginären, so fragilen Thron der Großartigkeit gestoßen zu werden, wieder sehr groß werden.

In der Reflexion halte ich diese Angst für eine solche vor der drohenden Erfahrung eines Verlusts meiner - wie erwähnt - fragilen Unantastbarkeit und Unangetastetheit (Kontakt-losigkeit), die sich im Sinne von Rogers (1991, S. 30) am Rande der Gewahrwerdung befindet und zum inkongruenten Erleben feindlicher Dritter, eigener Inkompetenz und Demotivation bis zur Depression führt und letztendlich in ein Vermeidungsverhalten mündet.

Dem stehen bei Überwindung oder wohl eher dem Ertragen der Angst vor Vorhaben bzw. Begegnung Erfahrungen der Bewährung und des Erfolgs, aber auch des Misserfolgs und von dessen Bitterkeit und doch auch Erträglichkeit gegenüber. Zwischen diesen Polen sehe ich mein Selbst als „eine fließende, eine wechselnde Gestalt, ... einen Prozeß“ (Rogers 1991,
S. 26), der zwischen Vorwärtsorientierung und dem Gefühl des Rückschlags auf längst Überwundenes schwankt, in Summe jedoch eindeutig vorwärts tendiert. Ein gutes Bild dafür ist für mich die Spirale, auf der man sich immer wieder auf dem selben Punkt glaubt und doch weitergekommen ist.

Zwischen kindlicher Versagensangst und Größenphantasie als Beziehungshindernissen und der Ingangsetzung der Spirale lagen allerdings ungefähr 45 Jahre. Bis zum Studium lebte ich damit gut: immer wieder wurde doch ein Teil der Fremde, in die ich unvermeidlicherweise hineinwuchs, zur vertrauten Heimat. Die Ängste, die ich besonders am Beginn der Mittel-schule und meines Tennisspiels (das war der Mittelpunkt meiner Welt von 11 bis 16) ver-spürte, wurden ziemlich rasch zu einer Randerscheinung meines (Er-)Lebens. Es war schon schön, dort ein Star zu sein (wenngleich mich das manchmal auch überforderte).

Lediglich die Kontakte zu Mädchen (die mir noch wichtiger gewesen wären als das Tennisspiel) wollten mir nicht gelingen - da war ich zu ängstlich. Einzig als ich in der 7. Klasse meine heutige Frau kennenlernte, für sie entflammte, warb ich mit Verbissenheit bis Zudringlichkeit und eroberte sie schließlich, schuf mir auch dort eine Heimat. Manchmal denke ich heute, dass ich sie okkupiert habe; sicher habe ich ihr bis spät in die „Psycho- therapiezeit“ nicht soviel Heimat, Stütze gegeben wie sie mir.

Ich habe meine Frau und Heimat zuerst psychisch, mit 22 Jahren auch psychisch nach Wien mitgenommen. Das hat es mir „erleichtert“ mir hier keine neue Heimat mehr zu schaffen, zumal die häusliche Heimat um zwei Söhne erweitert wurde.

Sowohl im Studium als auch in der Berufswelt habe ich in Distanz zu den Menschen und Aufgaben gelebt. Natürlich gab es Freunde und Interessantes, aber ich habe mich nicht wirklich zugehörig gefühlt. Ich wollte ja auch gar nicht Welthandel studieren (eigentlich Berufsfußballer werden) und schon gar nicht in einer Bank arbeiten. Aber ich habe es getan, weil ich weit weg war von der Gewahrwerdung meiner organismischen Bedürfnisse, in Wirklichkeit wohl Angst vor ihnen hatte. Ich habe mich in vage Zukunftshoffnungen geflüchtet, sobald ich gesehen hatte, dass es aus der Bank eine sehr frühe Pensionierungs-chance gab. Und ich habe mit großem Arbeitsaufwand, Korrektheit und Bescheidenheit am Nützen dieser Chance gearbeitet, mir damit eine gute und anerkannte - wie ich glaube - sogar beliebte Stellung erarbeitet, ohne dass die anderen bemerkt hätten, wie weit ich von ihnen weg war. Ich lebte im Wartezimmer.

Das erkannte ich sehr bald in der Psychotherapie, die ich nach 15 Jahren Bank- und 7 Jahren Hochschulpraxis begonnen hatte. Meine Frau und Managementtrainer (diese, ohne es zu wissen; übrigens die ersten Bioenergetiker, die ich kennen lernte) überzeugten mich von diesem Schritt, nachdem ich mehr und mehr Sinnlosigkeit und Leere hinter meiner gelebten Fassade (s. oben) und zunehmend Zweifel an meiner Fähigkeit empfand, aus dem Wartezimmer noch herauszukommen.

Zu den wichtigsten inneren Erkenntnissen der Therapie zählte mein fest verankerter Grandiositätsauftrag und die Angst vor dessen Nichterfüllung. Heute füge ich hinzu, dass ich diese Angst inkongruent als Bescheidenheit erlebte. Äußerlich wichtigstes Ergebnis war, dass ich mich von der Bank lösen und dabei meine materielle Existenz sichern konnte. In einem langwierigen, akribisch dokumentieren Prozess habe ich mich dann für einen weiteren Berufs-weg als Psychotherapeut entschieden, motiviert von den Entwicklungen, die mir durch die Therapie möglich geworden waren und bei denen ich auch andere Menschen begleiten wollte.

Die Spirale, die wohl schon mit der ersten Therapie in Gang gekommen war, setzte sich fort, wurde von mir als Entwicklungsweg im Guten wie im Schmerzhaften besonders deutlich seit Beginn des Fachspezifikums erlebt. Aber ich habe diesen Weg nicht ein einziges Mal bereut, weil er mir u.a. und vor allem eines gebracht hat: eine berufliche Heimat.
 

 

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