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Personzentrierte Beratung mit geistig behinderten Menschen

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6. Meine speziellen Erfahrungen, die Bedingungen und die Notwendigkeit...
... personzentrierter Beratung in einer Einrichtung geistig behinderter Menschen

Beratung ...
...im Einzelsetting

Während meiner Ausbildung zum personzentrierten und focusingorientierten Berater habe ich mit drei Klienten im Einzelsetting gearbeitet. Alle drei Klienten haben auf den personzentrierten Umgang in unseren Sitzungen sehr positiv reagiert. Nur einen der Klienten kannte ich bereits vor den Beratungen intensiver und es war möglich schon im Vorfeld eine vertrauensvolle Basis herzustellen. Aber auch bei den anderen beiden Klienten konnte ich bereits in der ersten Sitzung ein Gefühl von Vertrauen wahrnehmen, was uns ermöglichte gleich von Beginn an intensiv zu arbeiten.

Klient A begleitet ich durch eine ihn sehr aufwühlende Lebensphase mit starken Veränderungen im privaten und sozialem Bereich. Er musste sich in dieser Zeit damit auseinandersetzen eine geschützte Wohnsituation aufzugeben, da er den Wunsch hegte selbständig zu wohnen. Er musste nun seine gesamte Freizeit eigenständig planen und beschäftigte sich mit den vielen Problemen die ein eigenes, unabhängiges Wohnen mit sich brachten. Gleichzeitig ging seine Traumbeziehung auseinander und er kämpfte mit Unzufriedenheiten am Arbeitsplatz. In unseren Sitzungen war er sehr aufgewühlt und eine Flut von starken Gefühlen musste verarbeitet und verstanden werden.

Klientin B wurde mir in Vorgesprächen als Mensch beschrieben, die sich viel mit dem eigenen Körper und auftretenden und vorhandenen Krankheiten beschäftigt. Um so mehr erstaunte es mich als in unseren vielen Gesprächen der Kern selten bei diesen Inhalten lag. Viel mehr beschrieb mir die Klientin ihre Tagesabläufe, womit sie sich gern beschäftigt, worauf sie besonders stolz ist, was ihr viel Spaß bereitet und was ihr weniger gefällt. Ich hatte in den Beratungen oft den Eindruck, dass die Klientin es genoss von sich zu erzählen, dass es sie besonders freute, wenn ich mich von ihren Erzählungen ihren geschafften Leistungen, von dem was sie selbständig ausführen konnte ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, begeistern ließ und ihr signalisierte wie toll ich es finde, wie sie ihr Leben meistert. Mein Ziel dieser Begleitung war der Klientin einfach einen Raum zu geben, in der sie frei von sich erzählen konnte, was sie freute und was sie bedrückte.

Klient C war sehr motiviert die Methode des Focusing für sich kennen zulernen. Erstaunlicher Weise gelang es ihm bereits in der ersten Sitzung sehr gut einen Kontakt zu seinem Körper herzustellen und er erlebte tiefe körperliche Gefühle einhergehend mit einigen erleichternden Felt-Shift. Der Klient selbst beschreibt mir unsere Beratungssitzungen als für ihn sehr intensiv und angenehm. Bemerkenswert dabei ist, das ich eher erwartet hätte, dass der Klient eine beeinträchtigtere Beziehung zu seinem Körper hat, da der Körper des Klienten Kern seiner Behinderung ist. Durch weitere Beratungseinheiten und der Methode des Focusing kann es vielleicht dem Klienten gelingen eine vertrautere und mitfühlendere Art im Umgang mit seinem Körper zu erlernen und ihn als festen Bestandteil von sich anzunehmen.

Diese drei kleinen und kurzen Beispiele zeigen, dass Beratung geistig behinderter Menschen, nach einem personzentrierten Menschenbild möglich, sinnvoll und notwendig ist, um sie auf einem selbstbestimmten Weg durch ihr Leben zu begleiten und zu unterstützen.

Beratung...
... außerhalb eines festgelegten Settings

Während eines normalen Arbeitstages werde ich noch viel eindrücklicher vor den Bedarf ei-ner festen Beratungseinrichtung innerhalb einer Werkstatt für geistig behinderte Menschen als zusätzliches und übergreifendes Angebot gestellt. Das Leben selbst, der Werkstattalltag, der Alltag zu Hause in den Familien oder Wohneinrichtungen sowie die vielschichtigen Behinderungsarten dieser Menschen stellen sie immer wieder vor Situationen, denen sie selbst nicht gewachsen sind, die sie für sich verarbeiten und verstehen lernen müssen und in denen sie eine professionelle Begleitung benötigen. Eine Begleitung die in vollem Umfang kaum durch die Arbeit von Gruppenleitern und Sozialem Dienst abgedeckt werden kann.
Ich bin mir sicher, dass durch ein solches Angebot eine Vielzahl an Verhaltensauffälligkeiten und Konflikten geistig behinderter Menschen verstanden und gemeinsam mit ihnen und allen Beteiligten adäquat gelöst werden könnten.
Es ist mir unmöglich alle Situationen wieder zugeben, in denen ich entweder explizit von behinderten Menschen meiner Werkstatt angesprochen und um Rat gefragt werde, wie sie sich verhalten sollen oder implizit in Situationen erkenne, dass auch hier eine, wenigstens kurzfristige Beratung bzw. Begleitung angezeigt wäre. Leider lässt der Arbeitsalltag dafür wenig Spielraum.

Mit freundlicher Unterstützung unseres Sozialen Dienstes möchte ich an dieser Stelle einen Therapiebedarf unserer Werkstätte vorstellen, welcher im Rahmen von Begleitplanungen festgestellt wurde. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass sich nur Menschen mit einer geistigen Behinderung in diesem Bedarf wieder finden, die durch ihre speziellen Problematiken auffällig geworden sind. Ich gehen davon aus, dass der tatsächliche Bedarf weitaus größer ist und ein übergreifendes Beratungs- und Therapieangebot weit mehr Menschen mit geistiger Behinderung in Anspruch nehmen würden.

Insgesamt befinden sich derzeit 106 Personen in unserer Werkstätte für geistig behinderte Menschen. Davon 10 schwerst mehrfachbehinderte Menschen im Förder- und Betreuungsbereich und 8 in Ausbildung stehende Menschen mit geistiger Behinderung im Berufsbildungsbereich.

Da sich Begleitplanungen nur auf die Bereiche FBG und Arbeitsbereich erstrecken, sind die Personen des Berufsbildungsbereiches nicht erfasst – d.h. die erfasste Personenzahl beträgt 98 Personen.

Bei 18 Personen wurde ein unterstützendes therapeutisches Angebot außerhalb des Tätigkeitsfeldes der Werkstätte als erforderlich/wünschenswert festgehalten. Im Folgenden wird dargestellt, wo die zuständigen Gruppenleiter die Grundproblematik des geistig behinderten Menschen sehen, ob und welche Angebote wahrgenommen werden, bzw. wenn keine Angebote stattfinden, warum nicht.

Person

Problematik

Vorgeschlagene Maßnahme

Tatsächliche Maßnahme

Begründung

M.B.

Verhaltensauffälligkeiten, Bearbeitung der Behinderungsentstehung (Unfall)

 

Gespräche

Alltagsorientierte Gespräche mit Gruppenleiter

 

P.B.

Bearbeitung der Behinderungsursache (Unfall)

 

 

Gespräche

Ergotherapie

Zusätzliche Körperbehinderung, Kassenfinanzierung

S.D.

Bearbeitung Behinderungsbewältigung

 

Gespräche

Focusing - Beratung

 

T.F.

Verarbeitungsstörung, hohe Konfliktbereitschaft

 

Gespräche

Gespräche mit Sozialem Dienst

 

L.F.

Tendenz zu Depressionen, Suiziddrohungen, Familienaltlastbewältigung

 

Gespräche evtl. auch körperorientiertes Arbeiten

Neurologentermine, Psychiatrieaufenthalte

Kein Therapeut gefunden

F.G.

Weglauftendenzen, Aggressionen, Bewältigung der Behinderungsentstehung (Unfall)

 

Gespräche, handelnde Therapie (da Gespräche schwierig sind)

Ergotherapie

Es war kurzfristig kein anderes Angebot zu erhalten

G.H.

Hoher Gesprächsbedarf, z.T. hysterisches und depressives Verhalten

 

Gespräche

keine

 

E.H.

Depressionen, Zukunftssorgen

 

Gespräche

Psych. Beratung

 

M.H.

Verhaltensauffälligkeiten, Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation

 

Gespräche

Soz. Trainingskurs in WfbM

Symptombearbeitung

M.K.

Zukunftsängste, Unzufriedenheiten

 

Gespräche

Psych. Beratung

 

G.L.

Depressionen, Suizidversuche

 

Gespräche

Zeitweise Psychiatrie

 

R.Ö.

Hohe Konfliktanfälligkeit, Unzufriedenheit

 

Gespräche

Soz. Trainingskurs in WfbM

Eigener Wunsch

J.S.

ADS, Hyperaktivität

 

Verhaltenstherapie

Ergotherapie

Angebot im Wohnort

L.T.

Unzufriedenheiten mit Lebenssituation

 

Gespräche

Ergotherapie

Angebot im Wohnort

H.V.

Hohe Konfliktanfälligkeit, wenig Selbstbewusstsein

 

Gespräche

Soz. Trainingskurs in WfbM

Eigener Wunsch

M.W.

Depressionen, Bewältigung der Behinderungsfolgen, der Behinderungsentstehung (Unfall)

 

Gespräche

Neurologentermine, Kuraufenthalt

Eigener Wunsch, sucht noch Selbsthilfegruppe

N.H.

Autismus

 

 

 

 

Verhaltenstherapie, Beratung der Betreuer zum Behinderungsbild

Kontakt zum Autismuszentrum

Stagniert, da es von zu Hause aus weitergeführt werden sollte

H.V.

Hohe Konfliktanfälligkeit

 

Gespräche

--

 

Statistisch in einem Diagramm abgebildet, stellt sich meiner Meinung nach folgendes Bild dar:


 

Von den genannten 18 Personen finde ich erhalten 32% eine, ihrer Problematik angemessene Maßnahme. 36% sind in einer Art Notbehelfsmaßnahme untergebracht, d.h. ein Großteil des Gesprächsbedarfs wird über Einzelsitzungen, wie z.B. Ergotherapie, abgedeckt. Die restlichen 32% erhalten keine, ihrer Problematik angemessene Maßnahme, bzw. befinden sich in kurz-fristigen Kursen.

Noch einmal betonen möchte ich, dass sich in dieser Statistik nur Personen mit geistiger Behinderung befinden, bei denen die Bezugspersonen und Betreuer einen Handlungsbedarf festgestellt haben und die vorgeschlagenen Maßnahmen bzw. die tatsächlichem Maßnahmen an den Vorstellungen dieser (zum größten Teil) orientiert sind.
 

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