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Personzentrierte Beratung mit geistig behinderten Menschen

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3. Personzentrierte Beratung...
...im Rahmen eines humanistischen Menschenbildes

Im Zentrum steht ein Menschenbild, das in jedem Menschen eine eigenständige, in sich wertvolle Persönlichkeit sieht und die Verschiedenartigkeit der Menschen respektiert. Keine zwei Personen sind gleich, auch nicht zwei mit der gleichen Behinderung oder mit dem gleichen Krankheitsbild. Dieser individuellen Verschiedenartigkeit entsprechen vielfältige und ganz unterschiedliche Möglichkeiten, das Leben zu bewältigen. Die humanistische Sichtweise geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch grundsätzlich auf Wachstum und Selbstaktualisierung ausgerichtet ist und ganz eigene Fähigkeiten zu Veränderung und Problemlösung in sich hat. Diese Bestrebungen und Fähigkeiten können aus den verschiedensten Gründen - Entwicklungsstörungen, traumatische Erlebnisse, mangelnde Förderung, Krankheit, Alterungsprozess - gestört oder eingeschränkt sein. Diese brachliegenden Ressourcen gilt es zu entdecken und zu fördern. Grundsätzlich wissen nicht wir, was für andere Menschen gut ist, sondern sie selber, auch wenn der Zugang zu diesem Wissen verschüttet sein mag.
Jeder Mensch muss ernst genommen werden in seiner ganz eigenen Art und Ausdrucksweise, selbst wenn sie zunächst unverständlich erscheint. Für die betreffende Person hat sie einen Sinn, und das muss respektiert werden. Nicht immer gelingt es, diesem Sinn auf die Spur zu kommen. Wir müssen damit leben, dass es oft nicht gelingt, die Mauer zu durchdringen und die Welt geistig behinderter Menschen zu verstehen, die eine eigene Daseinsform des Menschsein ist. Aber das Wissen, dass ihr Verhalten für sie einen Sinn hat, auch wenn er uns verborgen bleibt, impliziert eine Haltung, die an sich schon positive Auswirkungen hat. Einem Menschen mit der Einstellung zu begegnen, dass sein Verhalten eine Bedeutung hat, die wir nicht verstehen, ermöglicht einen ganz anderen Zugang zu ihm, als wenn wir ihn einfach als »verwirrt«, »verrückt« oder »unangepasst« abstempeln. Wir müssen versuchen, uns in seine Wahrnehmungen und sein Empfinden einzufühlen, auch wenn sie schwer nachvollziehbar sind. Allein schon der Versuch, zu verstehen, verändert die Qualität der Beziehung. Menschen so zu begegnen, bedeutet, verschüttetes Potential aufspüren, schlummernde Ressourcen wecken oder wenigstens dazu beitragen, dass vorhandene Fähigkeiten erhalten und unterstützt werden, damit sie nicht noch mehr verkümmern. Diese Haltung ist eine der Grundbedingungen der Gesprächspsychotherapie und der personzentrierten Beratung, und sie ist auch eine zentrale Voraussetzung für personzentriertes Arbeiten in jedem anderen Bereich.

Die personzentrierte Haltung...
...hat drei Komponenten:

Empathie (oder einfühlendes Verstehen) ist die Fähigkeit, das Erleben und die Gefühle des Gegenübers genau und sensibel zu erfassen, mich in seinen inneren und äußeren Bezugsrahmen so einzufühlen, als ob ich der andere wäre, und dennoch nie außer acht zu lassen, dass ich ich selbst und nicht der andere bin. Empathie ist nicht Identifikation. Einfühlendes Verstehen dient nicht dazu, das Gegenüber zu interpretieren oder einzuordnen, sondern ist ein Versuch, sich möglichst genau in sein Erleben und in seine Welt hineinzuversetzen. Die Erfahrung, verstanden zu werden, ist an sich schon entwicklungsfördernd.

Wertschätzung (oder nichtwertendes Akzeptieren) bedeutet, dass ich mein Gegenüber ohne zu werten akzeptiere, als ganze Person, so wie sie im Augenblick ist, mit all ihren Schwierigkeiten und Möglichkeiten.

Kongruenz (oder Echtheit) heißt, dass mir mein eigenes Erleben bewusst ist und ich es trennen kann von dem, was ich beim Gegenüber wahrnehme. Kongruenz heißt, dem anderen Menschen als Person begegnen und sich nicht hinter einer professionellen Maske verstecken. Das erfordert, dass ich meine Gefühle, Impulse und Eindrücke zu-lasse und akzeptiere, aber nicht, dass ich sie dem anderen Menschen in jedem Fall ungefiltert an den Kopf werfe. Ich muss abschätzen können, wann es im Rahmen meiner Aufgabe sinnvoll ist, meine Gefühle mitzuteilen, und wann nicht. Zur Kongruenz gehört auch, dass die Rahmenbedingungen der jeweiligen Situation klar und für alle Beteiligten durchschaubar sind.

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