I. EINLEITUNG
Seit geraumer Zeit „wird
das Verhältnis von Seelsorge und Humanwissenschaften heftig
diskutiert, sei es innerkirchlich im Blick auf die Einbeziehung und
Berücksichtigung der Humanwissenschaften in der Seelsorge oder sei es
außerkirchlich im Blick auf die praktische Ablösung der Seelsorge
durch Humanwissenschaften und ihre helfenden Methoden“
Gerade der Umstand, daß im außerkirchlichen Feld zunehmend die
tradierten seelsorglichen Aufgaben von Berufsgruppen aus dem Bereich
der Humanwissenschaften übernommen werden und diese die Kompetenz der
Seelsorge ausdrücklich in Frage stellen, ist als Alarmsignal für die
Seelsorge wahrzunehmen.
Mit den gesellschaftlichen
und kulturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft und dem ständigen
Wandel der Anforderungen für die Seelsorge allgemein, wachsen auch
die Anforderungen an die einzelnen Seelsorger.
“Seelsorger - Priester wie Laien, hauptamtliche wie schlicht in der
Gemeinde mitarbeitende Christen - spüren die vielfältigen Ansprüche
ihrer Mitmenschen und wünschen sich, ‘die richtigen Worte zu
finden’. Sie erleben sich auch in einem gewaltigen Spannungsfeld
zwischen den Hoffnungen und Ängsten der Menschen, ihren eigenen
beschränkten Möglichkeiten, den Anforderungen des Evangeliums und
den Erwartungen und Aufträgen der Kirchenleitung.“
Die verstärkten
Anforderungen erwecken bei vielen Seelsorgern und Seelsorgerinnen den
Wunsch nach Erweiterung der persönlichen und sozialen Kompetenz.
Diesem Wunsch nachzukommen steht jedoch ein Überangebot an
unterschiedlichen, mehr oder weniger seriösen psychotherapeutischen,
psychologischen, sozialpsychologischen, gruppendynamischen,
Selbsterfahrungs-, Verhaltens-, Gesprächsführungs-, Supervisions-
und sonstigen Büchern und Seminaren gegenüber, und so kann es sich für
den einzelnen durch diese Unsumme von Angeboten als recht schwierig
erweisen, ein seriöses und den Anforderungen der Seelsorge
entsprechendes Konzept zu finden.
Einige Seelsorgerinnen und Seelsorger, die mit
psychotherapeutischen Verfahren in Kontakt kommen, können beobachten,
wie seelsorgliches Handeln mit verschiedenen psychotherapeutischen
Praktiken korrespondiert. So werden beide Vorgehensweisen als
irgendwie artverwandt aber gleichzeitig verschieden erlebt. Hier
bedarf es einer theoretisch-wissenschaftlichen Reflexion des Verhältnisses
von Psychotherapie - in diesem Fall an Hand der Klientenzentrierten
Psychotherapie - und Seelsorge.
Die vorliegende Arbeit
richtet sich nun an alle, die in der seelsorglichen Praxis stehen oder
sich noch in Ausbildung befinden und zur Erweiterung ihrer Kompetenz
im psycho-sozialen Bereich nach einem für sie und die Seelsorge
geeigneten Verfahren suchen. Ziel der Arbeit ist es, eine Einführung
in das Konzept der Klientenzentrierten Psychotherapie (KP) nach Carl
Ransom Rogers zu geben und diesen Ansatz hinsichtlich einer Rezeption
in der Seelsorge zu untersuchen. Dabei soll vor allem gezeigt werden,
daß das Menschenbild der KP einer Rezeption im pastoralen Kontext
nicht entgegensteht.
Diese Arbeit ist in
zwei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel wird das Konzept der KP
vorgestellt. Nach einer biographischen Skizze vom Leben C. Rogers’
werden die einzelnen Entwicklungsphasen der KP im Überblick angeführt.
In einem nächsten Schritt werden einzelne metatheoretische Aspekte
vorgestellt, die die anschließenden Darlegungen zu Menschenbild und
Persönlichkeitstheorie der KP vorbereiten und in einen größeren
Rahmen einbetten sollen. Am Ende des ersten Kapitels werden das
Therapiekonzept und der therapeutische Prozeß der KP skizziert.
Das zweite Kapitel
beginnt mit dem Versuch, das Verhältnis von Seelsorge und
Humanwissenschaften an Hand einiger kirchlicher Stellungnahmen zu
erhellen und mit Hermann Steinkamp unterschiedliche
Beziehungsparadigmen von Praktischer Theologie und Psychotherapie zu
definieren. Anschließend werden kritische Anmerkungen zu
Therapiekonzept und Menschenbild der KP formuliert.
Die Besprechung der
Philosophie E. Levinas’ wirft im Sinne einer Horizonterweiterung
Fragen und Anregungen für eine Weiterentwicklung der
klientenzentrierten Anthropologie auf und schlägt eine eingehende
Beschäftigung mit dem Gedankengut E. Levinas’ vor.
Die abschließende
Betrachtung stellt eine Zusammenfassung und gleichzeitig einen Beitrag
im Diskussionsprozeß zur Verhältnisbestimmung zwischen KP und
Seelsorge dar.
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