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Sabine Fiala

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1.4 Definitionen – Verstehensansätze

1.4.1 M. Mahler:
„Es ist das spezifische unbewusste Bedürfnis der Mutter, das von den zahllosen Möglichkeiten des Kindes eben jene aktiviert, die für jede Mutter „das Kind“ schaffen, das ihre eigenen einzigartigen und individuellen Bedürfnisse widerspiegelt. Wenn die „primäre Beschäftigung“ mit ihrem Kind, d.h. ihre Spiegelfunktion während der frühkindlichen Periode unberechenbar, unsicher, angsterfüllt oder feindselig ist, wenn ihr Vertrauen zu sich selbst als Mutter schwankend ist, dann muss das Kind in der Phase der Individuation ohne einen verlässlichen Bezugsrahmen für die gefühlsmäßige Rückversicherung bei seinem symbiotischen Partner auskommen. Das Ergebnis wird dann eine Störung des primitiven Selbstgefühls sein“ (vgl. Mahler 1969).

1.4.2 Theodore I. Rubin:
„Der Narzisst wird zu seiner eigenen Welt und glaubt, die ganze Welt sei er“ (vgl. Rubin 1981).

1.4.3 Otto F. Kernberg:
In der Definition von Otto F. Kernberg verschmilzt das kleine Kind sein ideales Selbst, das ideale Objekt und tatsächliche Selbstbilder als Abwehr gegen eine unerträgliche Wirklichkeit im interpersonalen Bereich“ (vgl. Kernberg 1983).
In nichtfachlicher Sprache: narzisstische Menschen bleiben an ihrem Image hängen. Sie können nicht zwischen dem Bild dessen unterscheiden, für den sie sich halten, und dem Bild dessen, der sie wirklich sind.

1.4.4 Alexander Lowen:

1.4.4.1 Das Selbst und das Ich:

Die Unterscheidung von Selbstliebe zu narzisstischer Eingenommenheit von sich selbst:

Ein Kind wird mit einem Selbst geboren, welches ein biologisches, kein psychologisches Phänomen ist.
Das Ich ist eine geistig-seelische Organisation, die sich entwickelt, während das Kind heranwächst.
Das Selbstgefühl oder Selbstbewusstsein entsteht, wenn das geistig-seelische Ich sich durch Selbstgewahrsein, Selbstausdruck und Selbstbeherrschung definiert. Man kann das Selbst also als den Gefühlsaspekt des Körpers definieren. Man könnte sagen: „Ich empfinde mich selbst als wütend, hungrig, traurig...“ und sagt einfacher: „ich bin wütend, hungrig, traurig...“. Die Betonung des Gefühls wird auf diese Weise die Aussage zum Ausdruck des Selbst.
Das Ich ist nicht das Selbst, wenn es auch der Teil der Persönlichkeit ist, der das Selbst wahrnimmt.
Indem narzisstische Menschen das Ich vom Körper oder Selbst trennen, schneiden sie das Bewusstsein von seinem lebendigen Fundament ab. Anstatt als ein integriertes Ganzes zu funktionieren, wird die Persönlichkeit in zwei Teile gespalten: ein aktives, beobachtendes „Ich“, mit dem sich das Individuum identifiziert, und ein passives, beobachtetes Objekt (den Körper).
Ein gesunder Mensch hat eine Doppelbeziehung zu seinem Körper: er kann ihn direkt durchs Fühlen erleben oder eine Vorstellung von ihm haben. Im ersten Fall ist er unmittelbar mit dem Selbst verbunden, während die Verbindung im zweiten Fall indirekt ist. Dieses Doppelbewusstsein stellt für ihn kein Problem dar, weil die Vorstellung vom Selbst und die direkte Selbsterfahrung durch den Körper zusammenfallen. Ein solcher Zustand setzt Selbstannahme voraus – ein Annehmen des Körpers und seiner Gefühle und eine Identifizierung mit ihnen. Die Selbstannahme ist es, die narzisstischen Menschen fehlt, die ihren Körper von sich abgetrennt haben.
Daraus ist auch zu erklären, dass die libidinöse Begierde eines narzisstischen Menschen in unterschiedlicher Ausprägung seiner Störung vom Objekt oder seinem Abbild in der Vorstellung abgezogen und auf das Selbstbild gerichtet wird.

1.4.4.2 Das Grauen:

Was kann einen Menschen/ ein Kind zu einer solchen Abspaltung der Gefühle und des Körpers, zu einer solchen Trennung von Ich und Selbst veranlassen?

Alexander Lowen führt an dieser Stelle den Begriff des Grauens ein.
Im Gegensatz zum Begriff Schrecken (terror), einen Zustand der extremen Angst, aus dem sich die schizoide Persönlichkeit entwickeln kann, ist das Grauen keine Emotion, weil der Zustand des Grauens keine Gefühlsqualität hat.
Zwei Merkmale des Grauens sind für diese Erörterung wichtig: die Hervorhebung einer Gefahr oder eines Schadens für andere (der unmittelbare Schaden für sich selber wird eher als Schrecken bzw. unmittelbare Angst = terror erlebt). Das andere ist die Art, wie das Erlebnis des Grauens auf den Betroffenen wirkt.
Beim Grauen ist der Körper, im Gegensatz zum Schrecken, relativ unberührt, denn es besteht keine unmittelbar drohende physische Gefahr. Das Grauen wirkt vor allem auf die Psyche, es betäubt die Psyche und lähmt sie, so wie Schrecken den physischen Apparat lähmt. Von einem Schauplatz des Grauens kann man physisch scheinbar unberührt fortgehen, aber vielleicht ist man unfähig, an irgend etwas anderes zu denken als an das Grauenhafte, dessen Zeuge man gerade geworden ist. Im Geist erlebt man die Szene immer und immer wieder, aber man kann keine Erklärung finden.
Der Körper des narzisstischen Menschen bleibt vom Erlebnis des Grauens relativ unberührt. Die Unfähigkeit, emotional zu reagieren, rührt von der Verleugnung von Gefühlen her, die potentiell im Körper vorhanden sind.
In einer Situation des Grauens neigen wir alle dazu, unseren Sinnen nicht zu trauen, weil sie unserer Vorstellung von der Realität widersprechen. Unseren Realitätssinn in Frage zu stellen würde uns das Gefühl geben, verrückt zu sein, statt dessen spalten wir ab, um unsere geistige Gesundheit zu erhalten, das Erlebnis wird zum bösen Traum. Wenn sich dies nun nicht auf ein einmaliges Erlebnis bezieht sondern auf eine andauernde Situation, wird die Abtrennung zur Struktur im Körper, und zwar als Spaltung zwischen den Wahrnehmungsfunktionen des Geistes und den Empfindungsfunktionen des Körpers. Das Verleugnen der eigenen Emotionen wird zur Gewohnheit, die sich der Persönlichkeit einprägt. Gehandelt wird allein auf der Grundlage von Vernunft und Logik. Der narzisstisch gestörte Mensch lebt in einer von Gefühlen getrennten Welt.
Menschen, die in ihrer Kindheit Erlebnisse des Grauens durchgemacht haben, haben eine Qualität des Unwirklichen in ihrer Persönlichkeit. Sie können eine Vergangenheit beschreiben, die den Zuhörer schaudern macht, aber sie selbst sprechen mit ruhiger, phlegmatischer Stimme. Sie scheinen nicht nur keinen Kontakt zu ihrem fühlenden Selbst zu haben, sondern auch keinen zum Zuhörer als einem fühlenden Menschen (vgl. A. Lowen, 1992).
 

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