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Essay von Gerhard Lukits

Der geschäftliche Aspekt von Psychotherapie

In diesem kurzen Essay möchte ich mich mit einer ethischen Frage der Psychotherapie auseinandersetzen, mit der ich in der letzten Zeit zweimal konfrontiert worden bin. Diese Anlässe halte ich deswegen für erwähnenswert, weil die Kritik am geschäftlichen Aspekt der Psychotherapie bezeichnenderweise in beiden Fällen von "homines religiosi" an mich herangetragen wurde: Einer von ihnen ist ein katholischer Priester und wird in Kürze die Seelsorge in einem Krankenhaus übernehmen, der andere studiert baptistische Theologie und überlegt meines Wissens, ebenfalls eine priesterlich-seelsorgerische Laufbahn einzuschlagen. Die Aufgabenstellung einer Lehrveranstaltung über Ethik gibt mir die Chance, mich explizit mit deren Fragen bzw. Kritiken auseinanderzusetzen und Antworten darauf zu finden.

So sehr die Meinungen der erwähnten beiden Theologen sonst weit auseinandergehen mögen: Die Vorstellung, sich "seelsorgerische" Tätigkeiten finanziell begleichen zu lassen, stößt offensichtlich bei ihnen gleichermaßen auf Ablehnung. Aus ihren Äußerungen glaube ich herausgehört zu haben, daß
1. es moralisch schwer vertretbar ist, Geld "fürs Helfen" zu verlangen.
2. der finanzielle Aspekt eine hilfreiche Beziehung zwischen "Seelsorger" und "Hilfesuchendem" stört.

Eine allgemeine Anwendung dieser Thesen steht dabei freilich nicht zur Diskussion:
Niemand würde z.B. einem Arzt einen Vorwurf daraus machen, für seine Berufsausübung eine Entlohnung zu verlangen. 
So sehr beim Arzt auch Hilfe gesucht und gefunden wird: Letztlich fällt sein Beruf genauso wie der des Polizisten ("Dein Freund und Helfer"), des Friseurs oder des Maurers unter die Kategorie selbstverständlich zu bezahlender Dienstleistungen.

Dagegen fällt es uns (nicht nur Theologen) offensichtlich schwer, in der Seelsorge oder Psychotherapie geleistete Hilfe als Dienstleistung zu sehen. 

Diese Haltung ist m.E. in der christlichen Tradition begründet: Einem anderen Menschen seelischen Beistand zu leisten, wird besonders in der christlichen Denktradition als Akt der Nächstenliebe bewertet. 
An diese Zuordnung knüpfen sich weitere Attribuierungen und Forderungen an den Helfer: Nächstenliebe muß eine Sache des Herzens sein. Sie muß selbstlos sein und darf nichts mit eigenen Interessen zu tun haben, schon gar nicht mit geschäftlichen. 

Diesen Assoziationen steht ein nüchtern klingendes Berufsbild des Psychotherapeuten entgegen: Der Psychotherapeut handelt nicht aus Nächstenliebe, sondern aus Interesse an sich und anderen Menschen. Er möchte eine Dienstleistung erbringen und gutes Geld damit verdienen. Natürlich freut er sich, wenn er einem Klienten helfen kann: ein schöner, vielleicht berührender Erfolg für seinen Klienten und für ihn selbst.

Diese Vorstellungskomplexe zum Thema "Seelischer Beistand" unterscheiden sich grundlegend und konkurrieren miteinander. Eine Differenz, die sich auch auf unsere konkrete Frage auswirkt, ist dabei besonders ins Auge gefallen: Im christlichen Ideal tätiger Nächstenliebe werden die Interessen und Bedürfnisse des Helfers nur insofern angesprochen, als sie möglichst keine Rolle spielen sollen: Nächstenliebe ist selbstlos (Eine "himmlische" Belohnung wird ihr zwar verheißen, der Helfer darf aber nicht an sie denken).
Dagegen hat der Psychotherapeut eigene Interessen bei seiner Berufsausübung, nicht zuletzt geschäftliche. Er wird sogar angehalten, sich dieser und sonstiger Motivationen sehr bewußt zu sein und dazu zu stehen:

Neben den bisher angedeuteten geschäftlichen und moralischen Gründen, die Rolle eines Helfers einzunehmen, ist noch eine breite Palette anderer Motivationen möglich.

Jemandem helfen bedeutet, sich in eine überlegene Position zu bringen. Damit geht eine Stärkung des Selbstwertgefühles einher: Der Helfer ist stark und gut - er stellt sich in einen positiven Kontrast zum schwachen, fehlerhaften Hilfbedürftigen, möche von ihm und anderen bedankt und bewundert werden.

Helfen erzeugt Verpflichtungen und Abhängigkeiten gegenüber dem Helfer. Helfen bedeutet auch, Macht ausüben zu können.

Nicht selten versuchen Menschen, sich von ihren eigenen Problemen abzulenken, indem sie sich auf die Probleme anderer stürzen.

Gleichzeitig kann der Versuch, anderen zu helfen, der indirekte Versuch sein, sich selbst zu helfen bzw. zu heilen: Es ist leichter, die eigenen Probleme auf dem Rücken anderer auszutragen, als sich direkt damit zu konfrontieren.

Helfen als Wiedergutmachung (Helfen aus Schuldgefühlen)



In der christlichen Definition von Hilfe (aus Nächstenliebe oder Liebe zu Gott) werden diese Motivationen tendenziell entweder ausgeklammert oder negativ beurteilt: Nächstenliebe ist selbstlos, die persönlichen Motivationen des Helfers, geschweige geschäftliche Interessen, dürfen in ihr keine Rolle spielen.
Indem ein im Sinne christlicher Nächstenliebe tätiger Helfer kein Entgelt für seine Hilfe annimmt, demonstriert er, daß er dabei keine eigenen Interessen verfolgt. Tatsächlich läßt sich ein geschäftliches Interesse relativ leicht ausschließen - (Eventuell vorhandene) Emotionale Interessen im oben beschriebenen Sinn nicht so leicht:

Sie können verleugnet werden: Was nicht sein soll, ist auch nicht.

Sie können in einer Gewissensprüfung aufgespürt, verurteilt (bzw. gebeichtet) und möglichst ausgeklammert werden.

Wenn ein caritativer Helfer seine eigenen Bedürfnisse, die er beim Helfen abzudecken versucht, verleugnet, bleiben sie unreflektiert und daher umso massiver bestehen: Er kann nicht einmal gedanklich, schon gar nicht emotional auf Distanz zu ihnen gehen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, benützt der "Helfer" den "Hilfsbedürftigen", um seine eigenen Bedürfnisse (das Bedürfnis nach Anerkennung, Macht, Dankbarkeit, Ablenkung, Selbstheilung) zu befriedigen.


Für den Fall, daß er sich seiner eigenen emotionalen Interessen bewußt wird
kann er seine Hilfstätigkeit beenden (weil sie "falsch" ist). 
er kann sie mit dem schlechtem Gewissen der Unzulänglichkeit seiner Nächstenliebe weiterführen
er kann versuchen, beim Helfen seine eigenen emotionalen Interessen möglichst auszuklammern. Dabei nimmt er in Kauf, mit seinen eingestandenermaßen vorhandenen Bedürfnissen selbst zu kurz zu kommen (wenn er sich nicht mit der Befriedigung über seinen heroischen Kampf um Selbstlosigkeit schadlos hält).

Im Fall, daß der Helfer um der Nächstenliebe willen seine eigenen Bedürfnisse bewußt ignoriert, wird der Unterstützte noch mehr in eine Schuldnerposition gedrängt: "Mein Helfer nimmt Versagungen auf sich, um mir zu helfen." "Mein Helfer ist anspruchlos, ich nicht (sonst ließe ich mir nicht helfen)" "Ich muß meinem Helfer dankbar sein, darf ihm nie böse sein (auch wenn ich mich von ihm nicht ernstgenommen oder bevormundet fühle)". 

In der "selbstlosen" Seelsorge kommt es automatisch zu einem Ungleichgewicht zwischen Helfer und Hilfsbedürftigen: Der Helfer ist stark und moralisch überlegen (schlecht der, der dies in Frage stellt), der Hilfsbedürftige schwach und moralisch verpflichtet.

Auf diese Weise kommt der "selbstlose Seelsorger" meistens doch auf seine Rechnung. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß nicht nur sein "Schützling" von seiner Hilfeleistung und Güte abhängig wird, sondern auch er selbst vom Helfen: Im Helfen hat er eine Möglichkeit gefunden, Bedürfnisse zu befriedigen und Anerkennung (vor sich) zu finden. 
Diese Abhängigkeit des Helfers vom Helfen kann soweit führen, daß der Helfer im Grunde kein Interesse mehr hat, den Hilfsbedürftigen aus seiner Hilfsbedürftigkeit herauszuführen - Möglicherweise hat auch der Hilfesuchende Angst vor Selbstständigkeit, wodurch sich ein negatives, von gegenseitiger Abhängigkeit geprägtes Beziehungsmuster festschreibt.


Ein Psychotherapeut verlangt Geld für seine Tätigkeit. Inwiefern soll sich das auf die Beziehung zwischen ihm und seinem Klienten auswirken ?

Mit seinem Anspruch nach Entgelt signalisiert der Therapeut dem Klienten, daß er nicht aus selbstloser Nächstenliebe handelt, sondern auch im eigenen Interesse.
Der Klient bezahlt den Therapeuten gut. Er kommt daher ihm gegenüber weder in die Situation des Unterlegenen noch in eine Schuldnerposition. Der Klient kann Ansprüche an seinen Therapeuten und ist frei, auch negative Gefühle ihm gegenüber zu entwickeln oder sich von ihm zu lösen. 
Das erleichtert dem Therapeuten den Einblick in das komplexe Gefühlsleben des Klienten. Die Beziehung des Klienten zu ihm ist ein Spiegel realer Beziehungsmuster.

Durch den Geschäftscharakter einer Therapie soll dem Klienten signalisiert werden, daß er letztlich seine Beziehungserwartungen nicht auf den Therapeuten fixieren oder konzentrieren kann. Therapie bedeutet eine gemeinsame, partnerschaftliche Arbeit. Beziehungserleben muß auch - und vor allem - außerhalb eines professionellen Rahmens stattfinden. Durch feste Geldvereinbarungen und Termine erfolgt eine deutliche Abgrenzung zwischen Therapeuten und Klienten. Diese ist begrüßenswert, ja notwendig.

Da der Therapeut für seine Arbeit gut bezahlt wird, kommt er grundsätzlich nicht zu kurz. Das erleichtert ihm, seine persönlichen Bedürfnisse in der therapeutischen Situation zurückzustellen: er hat dabei zu arbeiten, nicht seine Bedürfnisse abzudecken, und seine Arbeit zahlt sich ja schließlich aus. 
Auch für den Therapeuten bedeutet die Geschäftssituation mit festen Entgelten und Terminen eine deutliche Abgrenzung gegenüber seinem Privatleben.
Trotzdem kann der Therapeut auch in einer Geschäftssituation (zum Glück) seine Bedürfnisse nicht abstellen. Er soll sich ihrer bewußt sein, sie akzeptieren, aber auch überprüfen und kontrollieren können. Dazu dient vor allem die Lehrtherapie.

Eine Psychotherapie darf natürlich für den Therapeuten nie primär Geldsache sein. Der geschäftliche Aspekt stellt nur einen Rahmen dar. 
Auch im Rahmen einer "Geschäftssituation" ist genug Platz für Wohlwollen und Herzlichkeit. Daß sie sich abseits von Schuldgefühlen bzw. Überlegenheit entwickeln, macht sie sogar unkomplizierter, ehrlicher und wärmer.

Gerhard Lukits


lukits.gerhard@utanet.at

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